Werbefeldzug im öffentlichen Raum: Die Bundeswehr im Kampf um Herzen und Köpfe der deutschen Bevölkerung
Michael Schulze von Glaßer
Klein und schlagfertig. Trotz allgemeinen Personalabbaus soll die Bundeswehr in Zukunft kampffähiger werden: statt 7.000 sollen demnächst 10.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten dauerhaft in Auslandseinsätzen stehen können.1 Dabei muss die Armee ihren Nachwuchs nach Aussetzung der Wehrpflicht vollends aus der Zivilbevölkerung werben: 170.000 (Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit, Reservisten) + 5.000 (Freiwillig Wehrdienstleistende) + X (< 10.000 Freiwillig Wehrdienstleistende) ≤ 185.000“, diese Rechnung stellte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) bei seiner Grundsatzrede am 18. Juni 2011 in Berlin auf. Jährlich mindestens 5.000 neue Rekruten zu gewinnen, scheint für die Bundeswehr aktuell kein Problem zu sein. Im ersten Jahr konnte die Bundeswehr, 12.461 freiwillig Wehrdienstleistende anwerben.2 Davon brach allerdings ein Viertel den Dienst nach kurzer Zeit wieder ab, so dass die deutsche Armee am Ende etwa 9.400 neue Rekruten gewonnen haben dürfte. Zumindest auf Dauer dürfte diese Anzahl zu gering sein.
Es gibt noch einen weiteren Grund für die zunehmende öffentliche Präsenz der Bundeswehr: „Die Deutschen vertrauen der Bundeswehr, mit Recht, aber ein wirkliches Interesse an ihr oder gar Stolz auf sie sind sie eher selten. Noch seltener sind anscheinend der Wunsch und das Bemühen, den außen- und sicherheitspolitischen Wandel zu verstehen und zu bewerten, der da auf die Bundeswehr einwirkt. Natürlich lassen sich für dieses freundliche Desinteresse Gründe angeben“, so der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (CDU) in einer viel zitierten Rede auf der „Kommandeurtagung der Bundeswehr“ in Bonn 2005.3 Köhler machte unter anderem die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und ein fehlendes Bedrohungsgefühl für dieses „freundliche Desinteresse“ der Bevölkerung an der Armee verantwortlich. Neben reinem Desinteresse gibt es in der Bundesrepublik sogar eine stabile Bevölkerungsmehrheit, die Auslandseinsätzen der Bundeswehr generell kritisch gegenübersteht. So wird der Afghanistan-Einsatz laut Umfragen seit Jahren von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung abgelehnt und ein rascher Abzug der Truppen gefordert.4 Bei den Auftritten der Bundeswehr im öffentlichen Raum geht es also immer auch um Image-Werbung um zukünftig mit Zustimmung der Bevölkerung und nicht nur des Parlaments in den Krieg ziehen zu können.
In Innenstädten
2006 stellte die Armee auf Anraten des „Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr“ das „Zentrale Messe- und Eventmarketing der Bundeswehr“ (ZeMEmBw) als neue Werbeeinheit auf. Seitdem wird für eine „Karriere mit Zukunft“ bei der Bundeswehr geworben.5 Flaggschiff der Reklametruppe ist der aus drei großen Lastwagen – „KarriereTruck“, „KinoTruck“ und Gerätewagen – bestehende sogenannte „KarriereTreff“. Die Lastwagen touren jedes Jahr durch bundesweit rund 40 Städte und stehen dort für mehrere Tage auf zentralen Plätzen oder bei öffentlichen Veranstaltungen. Das zweite Standbein des ZeMEmBw ist ein großer Messestand, der jedes Jahr etwa 50-Mal zum Einsatz kommt. Mit dem Stand ist die Bundeswehr ebenso auf der „gamescom“, der größten Videospiele-Messen in Europa, vertreten, wie bei Ärztekongressen, wo sie versucht, ihrem massiven Personalengpass im medizinischen Bereich entgegenzuwirken.
Neben dem Zentralen Messe- und Eventmarketing verfügen alle vier Wehrbereichskommandos (NORD, OST, SÜD und WEST) über ein eigenes „Zentrum für Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr“ (ZNwgBw). Jede dieser Einheiten ist im Besitz von zwei Messeständen, die zwar kleiner aber nicht weniger modern als die des Zentralen Messe- und Eventmarketings sind, und vier kleinere Werbelastwagen, in denen Beratungen stattfinden und Broschüren verteilt werden. Bei fast allen Werbeveranstaltungen von ZeMEmBw und ZNwgBw wird auch immer aktuelles Militärgerät – Panzer, Kampfhubschrauber, etc. – ausgestellt.
Militärzeremonien
Die Zahl öffentlicher Gelöbnisse außerhalb militärischer Liegenschaften nahm vor allem unter Führung des ehemaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jungs (CDU) bundesweit zu: lag sie 2007 noch bei 134 waren es 2009 sogar 180 Gelöbnisse auf öffentlichen Plätzen.6 Zudem wurde das jährlich zum Andenken an das Hitler-Attentat am 20. Juli durchgeführte große Gelöbnisse in Berlin 2008 erstmals vom Bendlerblock, dem Berliner Sitz des Verteidigungsministeriums, vor den Reichstag verlegt.7 In den letzten Jahren gab es an dem Tag sogar Live-Übertragungen des Gelöbnisses beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Phoenix.8 Da durch die Aussetzung der Wehrpflicht auch die Rekrutenzahlen sinken, ist ein Rückgang der Gelöbnisse absehbar – ob dieser Rückgang auch die öffentlichen Gelöbnisse oder nur die, die sowieso schon in Kasernen abgehalten wurden betrifft, ist noch nicht klar.
Dazu kommen noch jährlich zwischen 20 (2006) und 7 (2010) traditionelle Große Zapfenstreiche, die etwa beim abtreten eines Bundespräsidenten oder Verteidigungsministers auch live im Fernsehen übertragen werden. Neuerdings gibt es auch für die immer aufwändiger werdenden Trauerfeiern für im Einsatz gefallene Soldaten live-TV-Übertragungen öffentliche rechtlicher Rundfunkanstalten. In diese Etablierung eines neuen Soldaten- bzw. Heldenkults passt auch die erstmalige Stiftung des „Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit“ 2009.9 Kurz nach der Neueinführung des Tapferkeitsordens wurde auch ein „Ehrenmal der Bundeswehr“ in Berlin eröffnet, in dem toten Soldaten Tribut gezollt wird.
Auch die 18 Musikkorps der Bundeswehr, die nach eigenen Angaben jährlich über 3.000 Konzerte durchführen, nehmen eine nicht unwichtige Rolle bei der Bundeswehr-Image-Arbeit ein.
Werbung in Medien
Für Werbung in Printmedien, Radio und Kino wendete die Bundeswehr von 2006 bis 2009 über 15 Millionen Euro auf.10 Zwischen 2009 und 2011 haben sich die Ausgaben allein für personalwerbliche Anzeigen in Printmedien auf 5,7 Millionen Euro im Jahr gesteigert. So wirbt die Bundeswehr beispielsweise mit Anzeigen regelmäßig in der mit einer Auflage von knapp einer Million Exemplaren größten Schülerzeitung Deutschlands, dem SPIESSER.11 Ebenfalls richtet sich die Armee mit Radiowerbung an Jugendliche um vor allem neue Hubschrauber- und Kampfjet-Piloten zu finden. Dies ist ebenfalls in den Kinospots der Armee der Fall. Im Frühjahr 2010 und 2011 warb die Bundeswehr erstmals seit Jahren wieder mit einer Fernsehwerbung für sich. Der 20-sekündige und 189.000 Euro teuren Spot warb direkt für den Dienst an der Waffe: „Herausforderung meistern, Teamgeist beweisen, Technik beherrschen. Bundeswehr, Karriere mit Zukunft“ bzw. später auch mit dem Slogan „Bundeswehr-Reform – Ihre Chance“.12 Aktuell gibt es gleich zwei neue Armee-TV-Spots, die unter dem neuen Werbeslogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ um die Gunst junger Leute werben.
Militainment
Um das Image weiter zu verbessern, subventioniert die Bundeswehr außerdem immer mehr deutsche Filmproduktionen: 2005 waren es 11 Produktionen, 2006 nur 4, 2007 waren es 8, 2008 schon 12 und 2009 unterstützte die Bundeswehr sogar 22 Filmprojekte.13 Sie stellt z.B. militärisches Großgerät, Dreherlaubnisse oder auch finanzielle Mittel zur Verfügung.Es werden vor allem Kino- und Spielfilmproduktionen sowie TV-Serien und Dokumentationen unterstützt, die die Bundeswehr wohlmeinend porträtieren oder ihr anderweitig nutzen.
Daneben ist die Bundeswehr – wohl weil sie immer mehr auch international durch ihre Auslandseinsätze Beachtung findet – auch immer öfter Akteur in Videospielen. Zwar hat die Bundeswehr laut eigenen Angaben bislang noch kein Videospiel-Unterstützt und selbst auch nur eine Handvoll Browser-Games zur Nachwuchswerbung veröffentlicht, stören tut die Bundeswehr bzw. das Verteidigungsministerium die Darstellung in vielen Spielen aber auch nicht – diesen Werbeeffekt nimmt man gerne mit.
Fazit und Ausblick
In den letzten Jahren haben die Bemühungen der Bundeswehr im öffentlichen Raum präsent zu sein deutlich zugenommen. Vor allem die mediale Werbung soll nach Willen des Verteidigungsministeriums massiv vorangetrieben werden. Auch hat die Bundeswehr 2010 in Saarbrücken ein erstes eigenständiges Rekrutierungsbüro am Hauptbahnhof eröffnet, das als Versuch gewertet werden kann auch dauerhaft mit Rekrutierungsbüros in Innenstädten präsent zu sein. Nach der Wehrpflicht sollen die Kreiswehrersatzämter durch „Karrierecenter“ und „Karrierebüros“ abgelöst werden, wie dies genau aussehen wird – ob den bisherigen Kreiswehrersatzämtern einfach nur ein Werbe- und Infobereich hinzugefügt wird oder ob die Ämter ganz geschlossen und dafür eigenen Werbebüros in Innenstädten eröffnet werden – ist noch offen.14 Solange die Bundesregierung eine expansive Militärpolitik mit weltweiten Auslandseinsätzen betreibt, wird auch die Werbung an der Heimatfront zunehmen bis genügend Rekruten herbeigeschafft und die deutsche Bevölkerung auf Kriegskurs gebracht ist.
1N. N.: De Maizière erläutert Bundeswehrreform – Weniger Soldaten aber dafür mehr im Ausland, in: www.sueddeutsche.de, 27. Mai 2011 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
2 N. N.: Aktuelle Vorabmeldung: Soldatenüberschuss: die Bundeswehr ist für junge Leute attraktiver als man denkt, in: www.sueddeutsche.de, 5. Juli 2012 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
3 Köhler, Horst: „Einsatz für Freiheit und Sicherheit“ – Rede von Bundespräsident Horst Köhler auf der Kommandeurtagung der Bundewehr, Bonn, 10. Oktober 2005.
4 Vgl. N. N.: IMI-Fact-Sheet Afghanistan: Das Drama in Zahlen – in: www.imi-online.de, 28. Oktober 2011 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
5 Schulze von Glaßer, Michael: An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr, Köln 2010.
6 Bundestags-Drucksache 17/715.
7 Müller, Andreas: Feierliches Gelöbnis vor historischer Kulisse, in: www.bmvg.de, 20. Juli 2008 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
8 Schulze von Glaßer, Michael: An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr, Köln 2010.
9 N. N.: Allgemeines: Die Ehrenzeichen der Bundeswehr, in: www.bundeswehr.de, 10. Januar 2012 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
10 Bundestags-Drucksache 16/14094.
11 Schulze von Glaßer, Michael: Armee umwirbt Kinder, in: www.telepolis.de, 10. Mai 2009 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
12 Schulze von Glaßer, Michael: An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr, Köln 2010
13 Bundestags-Drucksache 16/14094.
14 Schulze von Glaßer, Michael: Keine „Wehrpflicht“, dafür Karrierecenter, in: www.graswurzel.net, 5. Dezember 2011 – letzter Zugriff am 23. August 2012.
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