BerufssoldatInnen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Europäischen Union: Zusammenfassung
Diese Broschüre gibt einen Überblick über den Stand des Rechtes auf Kriegsdienstverweigerung in der Europäischen Union, einschließlich der Kandidatenländer Kroatien, Türkei und FYROM (Mazedonien). Die Broschüre wurde in enger Zusammenarbeit mit der War Resisters' International (WRI) erstellt, und baut auf auf der weltweiten Übersicht über die Situation der Kriegsdienstverweigerer, die von der War Resisters' International von 1998 [1] erstellt wurde und der Aktualisierung vorgenommen vom Quaker Council for European Affairs (QCEA) 2005 [2]. Für diese Broschüre wurde die Übersicht grundlegend aktualisiert, überarbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht, da sich seit 2005 die Situation in vielen Ländern beträchtlich verändert hat. Erstmalig wird mit dieser Broschüre der Versuch unternommen, systematisch auch Informationen zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung für Zeit- und BerufssoldatInnen bereitzustellen, wobei deutlich wird, dass es zu dieser Frage erhebliche Wissenslücken gibt. Auf einen Fragebogen an die Botschaften aller relevanten Länder, der von der War Resisters' International im November 2007 verschickt wurde, gab es lediglich fünf Rückmeldungen (Dänemark, Irland, Österreich, Türkei und Ungarn), und auch diese waren in ihrem Informationsgehalt oft unbefriedigend, und trugen wenig zur Erhellung der Situation bei.
Es lässt sich also schon jetzt feststellen, dass es zu diesem Thema auch weiterhin einen Recherchebedarf gibt. Erschwerend kommt hinzu, dass in einigen Ländern die Situation derzeit im Fluss ist (Polen, Schweden), und es daher sehr schwierig ist, handfeste Informationen zu bekommen.
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im internationalen Recht
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist aus Artikel 18 des Internationalen Paktes zu bürgerlichen und politischen Rechte [3] (Internationaler Zivilpakt) sowie Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention [4] abgeleitet, die sich mit der Glaubens' und Gewissensfreiheit befassen. Auch wenn Artikel 10 der geplanten Europäischen Grundrechtecharta das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkennt, so geschieht dies nur nach Massgabe von Ländergesetzen [5]. Artikel 10 selbst formuliert keine Standards zum Recht auf KDV. Aus diesem Artikel ein Argument für den in Irland berechtigterweise abgelehnten Lissabonner Vertrag abzuleisten ist deshalb politisch nicht logisch. Der Lissabonner Vertrag ist und bleibt ein EU-Vertrag neoliberaler und militärischer Ausrichtung.
Auf globaler Ebene haben sowohl die (ehemalige) Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, das damals höchste UN-Forum zum Thema Menschenrechte bestehend aus RegierungsvertreterInnen, als auch das Menschenrechtskomitee, das ExpertInnenkomitee der Vereinten Nationen, das den Internationalen Zivilpakt interpretiert, sich mehrfach mit der Frage der Kriegsdienstverweigerung beschäftigt. Seit 1989 haben Resolutionen der Menschenrechtskommission (verabschiedet ohne Abstimmung) das Recht "im Rahmen der legitimen Ausübung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit aus Gewissensgründen den Militärdienst zu verweigern" [6] anerkannt.
Das Menschenrechtskomitee betrachtet Kriegsdienstverweigerung als eine geschützte Form des Ausdrucks (religiöser) Überzeugung im Rahmen des Artikel 18 Abschnitt 1 des Zivilpaktes. In seiner jüngsten und eindeutigsten Entscheidung zu diesem Thema (Mr. Yeo-Bum Yoon and Mr. Myung-Jin Choi v Republic of Korea) [7] entschied das Komitee, dass die Republik Korea Artikel 18 verletzt hat, indem sie in den zur Frage stehenden Fällen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkannt hat.
Die Menschenrechtskommission erkannte in ihrer Resolution von 1998 auch an, „dass im Militärdienst stehende Personen dazu gelangen können, diesen Dienst aus Gewissensgründen zu verweigern“ [8]. Folglich muss ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu jeder Zeit – vor, während und nach der Ableistung des Militärdienstes, und auch für BerufssoldatInnen – möglich sein. Ähnlich formulierte es das Europaparlament in einer Resolution von 1989, wenn es „das Recht aller Wehrpflichtigen, zu jeder Zeit den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern“ forderte [9].
Konsequenterweise forderte die parlamentarische Versammlung des Europarates in einer Entschließung zu Menschenrechten in den Streitkräften vom 24. März 2006, dass Mitgliedstaaten: "in ihre Gesetzgebung das Recht einzuführen, sich zu jeder Zeit als Kriegsdienstverweigerer registrieren zu lassen, vor, während und nach der Ableistung des Wehrdienstes, sowie das Recht von BerufssoldatInnen, die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu erhalten" [10]. Bereits die Empfehlung 1518 von 2001 [11] empfahl den Mitgliedern des Europarates das Recht auf KDV auch für BerufssoldatInnen anzuerkennen.
Die Praxis in der Europäischen Union
Die Praxis in den Ländern der Europäischen Union und den Kandidatenländern weicht jedoch erheblich vom Stand des internationalen Rechtes ab. Die gröbsten Verstöße sind:
- das Kandidatenland Türkei erkennt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung weder für Wehrpflichtige, noch für Zeit- und BerufssoldatInnen an. Kriegsdienstverweigerer werden mehrfach inhaftiert und verurteilt.
- Griechenland und Finnland haben einen zivilen Ersatzdienst, der in der Praxis fast doppelt so lang ist wie der Militärdienst. In Griechenland kommt hinzu, dass nicht-religiöse Verweigerer selten anerkannt werden.
- In zahlreichen Ländern der Europäischen Union werden totale Kriegsdienstverweigerer, die auch einen zivilen Ersatzdienst aus Gewissensgründen ablehnen, inhaftiert. Derzeit ist die Situation insbesondere in Deutschland und Finnland problematisch.
- Die große Mehrheit der Länder, die die Wehrpflicht beibehalten, begrenzen die Möglichkeit eines Antrages auf Kriegsdienstverweigerung auf die Zeit vor der Einberufung, erlauben also dienenden Wehrpflichtigen sowie ReservistInnen kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung.
- Bis auf drei Länder – Deutschland, die Niederlande und Großbritannien – erkennt keines der untersuchten Länder das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch für Zeit- und BerufssoldatInnen an.
- In Großbritannien haben BerufssoldatInnen zwar ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, amtliche und öffentliche Informationen dazu gibt es jedoch quasi nicht.
Dies zeigt, dass es auch innerhalb der Europäischen Union einen erheblichen Handlungsbedarf gibt, um das Recht in den Mitglieds- und Kandidatenländern in Einklang mit internationalen Standards zu bringen. Dies gilt insbesondere für die Frage der Kriegsdienstverweigerung für BerufssoldatInnen, ein Thema, das mit dem Trend zur Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht zunehmend wichtiger wird.
Schlussfolgerungen
Im wesentlichen unbemerkt geht mit dem Trend zur Professionalisierung der europäischen Armeen eine andere Entwicklung einher: das in der Europäischen Union weit verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung für Wehrpflichtige wird ausgehöhlt. Es steht für BerufssoldatInnen in der Regel nicht zur Verfügung. Auch die Ausgestaltung des KDV-Rechtes für Wehrpflichtige in den einzelnen Mitglieds- und Kanidatenländern entspricht oft nicht den internationalen Standards.
Mit dem zunehmenden Einsatz professionalisierten Militärs im Rahmen der NATO, der EU oder der Vereinten Nationen (oder auch von ad-hoc-Koalitionen) ist jedoch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung für die betroffenen SoldatInnen wichtiger als je zuvor.
Anmerkungen:
[1] Bart Horeman, Marc Stolwijk: Refusing to bear arms: a world survey of conscription and conscientious objection to military service. War Resisters' International, 1998, http://wri-irg.org/co?/rtba/index.html, Zugriff am 8. Oktober 2008
[2] Quaker Council for European Affairs: The Right to Conscientious Objection in Europe: A Review of the Current Situation, April 2005, http://www.quaker.org/qcea/coreport?/index.html, Zugriff am 8. Oktober 2008
[3] http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik?/Themen/Menschenrechte/Download/IntZivilpakt.pdf, Zugriff am 8. Oktober 2008
[4] http://www.uni-potsdam.de/u/mrz/coe/emrk/emrk-de.htm, Zugriff am 8. Oktober 2008
[5] Absatz (2) lautet: “Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nach den einzelstaatlichen Gesetzen anerkannt, welche die Ausübung dieses Rechts regeln.”, http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf, Zugriff am 8. Oktober 2008
[6] Resolution der Menschenrechtskommission 1998/77. Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen, http://www.un.org/Depts/german/wiso/ecn4res98-77.pdf, Zugriff am 8. Oktober 2008
[7] Communications Nos. 1321/2004 and 1322/2004 : Republic of Korea. 23/01/2007. CCPR/C/88/D/1321-1322/2004. http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/(Symbol)/26a8e9722d0cdadac1257279004c1b4e?Opendocument, Zugriff am 8. Oktober 2008
[8] Resolution der Menschenrechtskommission 1998/77. Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen, http://www.un.org/Depts/german/wiso/ecn4res98-77.pdf, Zugriff am 8. Oktober 2008
[9] Europaparlament: Resolution of 13 October 1989 on conscientious objection and alternative civilian service, http://ebco-beoc.org/page/1uside/document/doc2eu.htm#Schmidbauer, Zugriff am 8. Oktober 2008
[10] Parlamentarische Versammlung des Europarates: Human rights of members of the armed forces, Doc. 10861, 24 March 2006, http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents?/WorkingDocs/Doc06/EDOC10861.htm, Zugriff 8. Oktober 2008
[11] Empfehlung 1518 (2001): Die Ausübung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in den Mitgliedsstaaten des Europarates, angenommen vom Ständigen Ausschuss im Namen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 23. Mai 2001, http://www.coe.int/t/e/human_rights/1objcond.pdf, Zugriff am 8. Oktober 2008
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