Kriegsdienstverweigerung und Asyl

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Beitrag auf dem Öffentlichen Hearing "Das Recht von SoldatInnen die Teilnahme an Kriegen zu verweigern, die internationales Recht verletzen" im Europäischen Parlament in Straßburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments,

Ich danke herzlich für die Einladung zum heutigen Hearing. Ich werde darüber sprechen, welchen Schutz Soldatinnen und Soldaten benötigen, die sich weigern, sich an Verstößen gegen das internationale Recht zu beteiligen oder die ihre Kriegsdienstverweigerung erklären.

Ich arbeite in einer deutschen Organisation namens Connection e.V. Seit 20 Jahren beraten und begleiten wir Kriegsdienstverweigerer aus Ländern wie dem frühren Jugoslawien, der Türkei, USA, Russland oder Eritrea. Da ihre Gewissensentscheidung in ihren Herkunftsländern oft genug nicht respektiert wird, sie Repressionen, Strafverfolgung oder der erneuten Rekrutierung unterliegen, suchen viele von ihnen Schutz im Ausland, z.B. in der Europäischen Union. Immer wieder müssen wir aber erleben, dass ihre Anträge auf Asyl abgelehnt werden. Die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern gilt in aller Regel nicht als Asylgrund.

Heute geht es um den von den USA und Großbritannien angeführten Krieg gegen den Irak. Daran beteiligen sich etwa 40 Länder, darunter Estland, Slowakei, Litauen, Ungarn, Polen, Ukraine, Südkorea, Thailand, Bulgarien, Rumänien, Georgien, Kasachstan oder die Philippinen. Wie schon von meinen VorrednerInnen ausgeführt und auch vom Europäischen Parlament festgestellt wurde, war der Einmarsch der USA in den Irak nicht von einer rechtsgültigen Entscheidung des UN-Sicherheitsrates gedeckt, wie es Kapitel VII der UN-Charta vorsieht. Der Krieg gegen den Irak entspricht somit nicht dem internationalen Recht. Darüber hinaus mussten wir erfahren, dass internationale Gesetze und Normen bei der Invasion und Besetzung des Irak, wie auch in Afghanistan, systematisch verletzt wurden, wie z.B. durch vorschriftswidrige Inhaftierungen oder Folter.

Ein US-Soldat hatte daraus Anfang letzten Jahres die Konsequenz gezogen. Blake Lemoine verweigerte die Befehle und schrieb an seine Vorgesetzten: ,,Es waren die Soldaten, an deren Seite ich kämpfte, die die Schrecken der menschlichen Seele widerspiegelten. Jetzt, wo mir der Hass und Wut bewusst sind, die gegen die arabischen Völker gerichtet sind, kann ich nichts anderes tun, als dem US-Militär jeden Einsatz mit dem Gewehr meinerseits zu verweigern. Auch muss ich leider sagen, dass ich ab dem heutigen Tage dem Heer keinerlei Unterstützung geben kann." Da er nur diesen einen Krieg verweigerte, hätte ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung aller Voraussicht nach keinen Erfolg gehabt. Er wurde schließlich wegen Befehlsverweigerung zu fünf Monaten Haft verurteilt.

Das US-Militär ist eine Freiwilligenarmee. Viele der im Irak stationierten Soldaten sind Berufssoldatinnen und -soldaten. Aber auch für sie kann die konkrete Situation des Krieges dramatische Folgen haben. Ein Drittel der US-Soldatinnen und -soldaten, so wurde kürzlich berichtet, sind nach ihrem Einsatz in psychologischer Behandlung. Viele wollen nach der Rückkehr ihrer Einheit nicht noch einmal dort eingesetzt werden und hoffen auf eine Entlassung aus dem Militär. Einige entscheiden sich, den Kriegsdienst zu verweigern. Sie sehen sich mit einem langen Verfahren mit höchst ungewissem Ausgang konfrontiert. Nur etwa 40% sind vom Militär in den letzten Jahren anerkannt und entlassen worden. Andere sehen in ihrer Not nur die Möglichkeit, AWOL zu gehen oder zu desertieren.

Bei anderen Ländern sieht es nicht viel besser aus. Über die Situation in Großbritannien hatte uns George Solomou berichtet. In den EU-Ländern Estland, Slowakei, Litauen, Ungarn und Polen haben Berufssoldaten keine Möglichkeit, die Entlassung aus dem Militär aus Gewissensgründen zu beantragen. Dies gilt auch für die meisten der anderen am Irakkrieg beteiligten Länder.

Das heißt: Wenn eine Soldatin oder ein Soldat aus diesen Ländern erkennt, dass dieser Einsatz nicht mit dem eigenen Gewissen vereinbar ist oder dass die Teilnahme am Krieg grundsätzlich dem eigenen Gewissen widerspricht, bleibt keine legale Möglichkeit, das Militär zu verlassen. Hier drohen Repressionen, der Einsatz im Kriegsgebiet und Strafverfahren wegen Befehlsverweigerung. Da eine Gewissensentscheidung nicht umkehrbar ist, kann diese Strafverfolgung auch wiederholt erfolgen. Das steht in eklatantem Widerspruch zur Empfehlung 1995/83 der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die bekräftigt, dass ,,bereits Militärdienst Leistende nicht vom Recht der Verweigerung des Militärdienstes ausgeschlossen werden sollten."

Ich möchte auf ein weiteres Problem aufmerksam machen. Es gab und gibt sehr große Anstrengungen, internationale Gerichtshöfe einzuführen, um Verstöße gegen das internationale Recht zu ahnden. Eines der wesentlichsten Grundlagen der internationalen Gerichtsbarkeit ist die Feststellung, dass jede Person für die eigenen Aktivitäten verantwortlich ist. Das bedeutet: Auch Soldatinnen und Soldaten sind für das eigene Handeln verantwortlich. Sie können sich dieser Verantwortung nicht entziehen, wenn sie sich auf den Befehlsnotstand berufen.

Wenn sich eine Soldatin oder ein Soldat entsprechend dem internationalen Recht verhalten will und einen Befehl erhält, der dem widerspricht, kann es nur eine Konsequenz geben: die Pflicht zu verweigern. Und genau dies, so zeigt uns der Fall von Blake Lemoine, kann auch ein Grund sein, Kriegsdienstverweigerer zu werden, in einer speziellen Situation. Die übliche Definition für die Kriegsdienstverweigerung umfasst aber nicht derartige Gewissensgründe. Wie im Falle von Blake Lemoine, haben Soldatinnen und Soldaten in diesen Fällen oft mit einer Strafverfolgung zu rechnen, obwohl sie sich mit ihrer Entscheidung an internationales Recht halten.

Ich will noch etwas ausführlicher auf die Frage des Asyls für Kriegsdienstverweigerer eingehen. Über den Grundsatz hatte ich schon berichtet: Die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren gilt in aller Regel nicht als Asylgrund. Nur wenn die Art der Verfolgung eines Kriegsdienstverweigerers eine zusätzliche Bestrafung darstellt, wenn also nicht allein Befehlsverweigerung oder Desertion verfolgt wird, kann dies als eine Verfolgung wegen der politischen Überzeugung oder Religionszugehörigkeit angesehen werden. Das ist die übliche Auslegung in der Europäischen Union. Zudem findet sich in der Rechtsprechung keinerlei Rechtssicherheit, so dass es nicht möglich ist, auf der Grundlage eines Falles sagen zu können, dass der nächste genauso entschieden wird. Da ist der Spielraum sehr groß. Und die Behörden und Gerichte in ganz Europa interpretieren diese Definition restriktiv gegen die Betroffenen.

Aber für den Fall eines Krieges, der gegen internationales Recht geführt wird, sollte die Auslegung wesentlich klarer sein. Hier ist das Handbuch des UNHCR relevant, das die Genfer Konvention auslegt. In Punkt 171 ist zu lesen: ,,Wenn jedoch die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird, dann könnte in Anbetracht der Bestimmungen der Definition die Strafe für Desertion oder für Nichtbefolgung der Einberufung als Verfolgung angesehen werden."

Eine gegenüber dem Handbuch des UNHCR erweiterte Auffassung können Sie in der Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EC des Europäischen Rates vom 29. April 2004 finden, der Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen. Dort heißt es: ,,Als Verfolgung im Sinne (der Genfer Flüchtlingskonvention) können unter anderem folgende Handlungen gelten: (...) die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen", also ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke umfassen.

Hier will ich eine wichtige Anmerkungen machen. Dieses Regelwerk schafft einen Widerspruch in sich selbst. Die Richtlinie des Europäischen Rates verwehrt Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union per se die Möglichkeit, einen Antrag auf Asyl zu stellen. In Artikel 2 steht: ,,Der Ausdruck ,Flüchtling' bezeichnet einen Drittstaatsangehörigen". Aber einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nehmen am Krieg gegen den Irak teil und verstoßen damit gegen internationales Recht.

Wenn wir vom Grundsatz her ausgehen, müssen wir sagen: Alle Soldatinnen und Soldaten, die diesen Krieg gegen den Irak verweigern und mit Verfolgung rechnen müssen, sollten einen Flüchtlingsstatus nach der Anerkennungsrichtlinie erhalten. In Widerspruch dazu können sich Bürger der Europäischen Union nicht darauf berufen. Aber wir kommen ohne Frage zu folgendem Ergebnis: Selbst nach dieser Richtlinie muss allen anderen Staatsangehörigen, einschließlich von US-Bürgern wie auch Staatsangehörigen anderer an dem Krieg beteiligten Ländern, dieser Schutz angeboten werden.

Sie könnten einwenden, dass dies allein Sache der dafür zuständigen Ämter und Gerichte ist. Allerdings müssen wir sehen, dass die Regelung des UNHCR Handbuches auch bislang nur in den seltensten Fällen umgesetzt wurde. Es ist entscheidend, hier die Initiative zu ergreifen und deutlich zu machen, dass der Schutz dieser Verweigerer auch politisch gewollt ist.

So weist der Irakkrieg auf die Notwendigkeit hin:

* Vorkehrungen zu treffen, womit Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit erhalten, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auszuüben, auch wenn sie situativ den Kriegsdienst verweigern.

* Militärdienstentziehern, Soldatinnen und Soldaten Schutz zu gewähren, die die Armee ohne Erlaubnis verlassen haben oder desertiert sind, weil sie eine Entscheidung getroffen haben, nicht an Kriegen oder Kriegshandlungen beteiligt sein zu wollen, die internationalem Recht widersprechen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Rudi Friedrich

Der 43-jährige Rudi Friedrich, Soziologe, arbeitet seit 1993 als Geschäftsführer für den in Deutschland ansässigen Verein Connection e.V. Die Organisation unterstützt Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten auf internationaler Ebene. Rudi Friedrich ist bekannt als Experte zur Beratung und Begleitung von Kriegsdienstverweigerern aus Ländern wie dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, USA, Russland oder Eritrea, die Unterstützung, Schutz oder Asyl in Deutschland oder anderen EU-Ländern suchen.

Rudi Friedrich ist Autor, Herausgeber und Mitherausgeber von Veröffentlichungen wie ,,Der Krieg in Türkei-Kurdistan" (1998), ,,Gefangen zwischen Terror und Krieg? - Israel/Palästina: Stimmen für Frieden und Verständigung" (2002), ,,In welcher Verfassung ist Europa? - EU: Militarisierung und Flüchtlingsabwehr" (2004).

Connection e.V. erhielt zwei Friedenspreise, 1996 den Aachener Friedenspreis, im Jahre 2001 den Friedrich Siegmund-Schultze Förderpreis.


Connection e.V.

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