Wessen Zukunft ist sicher? Militarisierung im Zeitalter der Klimakrise
Nick Buxton
Für alle, die mit Militarismus zu tun haben, brachten die Nachrichten über die Terrorangriffe in Brüssel ein bekanntes Gefühl der Furcht mit sich. Wir leiden, wenn wir wieder einmal Geschichten vom Verlust von Leben hören, und wir haben eine düstere Vorahnung aus dem Wissen, dass die Bomben in betroffenen Gemeinschaften hier und anderswo voraussagbar neue Runden von Gewalt und Schrecken anheizen werden. Sie schaffen die binäre Welt, die Neokonservative und Terroristen suchen: Ein Feld von permanentem Krieg, in dem unsere ganze Aufmerksamkeit und all unsere Ressourcen aufgesaugt werden – und in dem die wirklichen Krisen von Armut, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, sozialer Entfremdung und Klimakrise in Vergessenheit geraten.
Daher war es ungewöhnlich, dass Präsident Obama im März 2016 in einem Interview mit der Zeitschrift Atlantic seine Warnung wiederholte: “Isis ist keine existenzielle Bedrohung für die Vereinigten Staaten. Der Klimawandel ist eine potenziell existenzielle Bedrohung für die gesamte Welt, wenn wir nichts dagegen tun.” Während diese Aussage in vorhersehbarer Weise von der reaktionären US-Rechten lächerlich gemacht wurde, scheint sie Obamas anscheinend strategischeren Ansatz für Außenpolitik zu versinnbildlichen – die sogenannte ‘Obama-Doktrin’, die darauf zielt, imperiale Macht abzusichern, indem sie zuerst, in seinen eigenen Worten, “keinen dummen Scheiß macht” und zweitens nicht die langfristigen Herausforderungen für die Interessen der USA ignoriert.
Präsident Obamas Betonung des Klimawandels ist auch ein Merkmal der Prioritäten seiner Außenpolitik während seiner letzten Amtszeit. Während er anfangs in pathetischer Rhetorik von der ‘Heilung des Planeten’ sprach, hat Obama den Klimawandel konsequenter in Begriffen der Gewährleistung der nationalen Sicherheit der USA dargestellt. In einer Rede vom Mai 2015 an Kadetten der Küstenwacht in Connecticut sagte Obama: “Der Klimawandel bedeutet eine ernste Bedrohung der weltweiten Sicherheit, ein unmittelbares Risiko unserer nationalen Sicherheit, und er wird zweifellos einen Einfluss darauf haben, wie unser Militär unser Land verteidigt. Und daher müssen wir handeln – und wir müssen jetzt handeln.” Damit hat Obama einen Trend gesetzt, der weltweit von den Verbündeten der USA aufgegriffen worden ist. Der britische Premierminister David Cameron hat ebenfalls gesagt, dass der Klimawandel “nicht bloß eine Bedrohung der Umwelt ist. Er ist auch eine Bedrohung unserer nationalen Sicherheit.”
Innerhalb der USA wird die Verortung des Klimawandels als Angelegenheit der ‘nationalen Sicherheit’ in typischer Weise als politische Taktik verstanden. Wie ein Gewährsmann aus Washington mir sagte, ist das eine der wenigen Arten, in den Korridoren der Macht Politik schneller als in der Geschwindigkeit von Gletschern zu machen. Es ist auch gesehen worden als eine Art, die Leugner des Klimawandels bei den Republikanern dazu zu bringen, ihre Blockade zu Aktionen des Klimawandels aufzugeben, selbst wenn das klar erfolglos war. (Die begeistertsten Unterstützer des Klimas als Sicherheitsthema in den USA sind Progressive gewesen: Bernie Sanders, der Hoffnungsträger der demokratischen Linken, war lautstark bei der Definition des Klimawandels als die Sicherheitsbedrohung Nummer eins für die USA).
Unabhängig von den Befürwortern und Gegnern wird der Klimawandel in die Militärpolitik der USA eingeführt; ein Prozess, der beinahe mit Sicherheit weitergehen wird, ganz gleich, wer bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA gewählt wird. Das geschieht, weil letztlich die Sorge der Militärs um den Klimawandel es ist, ihre zukünftige ‘Handlungsfähigkeit’ zu gewährleisten, weniger deshalb, weil sie erleuchtet worden wären und sich entschieden hätten, ‘grün zu werden’. Eine Anordnung der Department of Defense (DoD), die im Januar 2016 verabschiedet wurde, sagt: “Das DoD muss in der Lage sein, laufende und zukünftige Operationen an die Folgen des Klimawandels anzupassen, um ein wirksames und leistungsfähiges US-Militär aufrecht zu erhalten.”
Für die USA wird die Integration des Klimawandels in die Militärplanung in drei bezeichnenden Arten verordnet. Die erste besteht darin sicherzustellen, dass die riesige militärische Infrastruktur der USA – die aus mindestens 800 Stützpunkten in mehr als 70 Ländern besteht – angesichts heißerer Temperaturen, steigender Meere und extremerem Wetter weiterhin arbeitet. Ein Bericht des Haftungsbüros der US-Regierung (Government Accountability Office, GAO) von 2014 zeigte, dass der Klimawandel bereits militärische Vermögenswerte beeinträchtigt hat. Eine Radarstation in Alaska war nicht mehr erreichbar, nachdem Straßen und Wege zerstört wurden, als die Küstenlinie sich um 40 Fuß zurückzog, aufgrund einer Kombination von schmelzendem Permafrostboden, dem Verschwinden von Meereseis und dem Ansteigen des Meeresspiegels.
Das zweite ist die Hinwendung zu „grünen“ Betriebsstoffen, um die riesigen militärischen Arsenale mit Energie zu versorgen. Das wird oft verkauft als Beweis für das Engagement des Militärs für die Umwelt, aber es ist wiederum letztlich verwurzelt in der Sorge um die Leistungsfähigkeit. Das Pentagon ist der weltgrößte Einzelnutzer von Erdöl: einer seiner Flugzeuge, der Stratocruiser B-52, verbraucht etwa 3.334 Gallonen (12.619 Liter) pro Stunde, etwa so viel Benzin, wie der Durchschnittsfahrer in sieben Jahren verbraucht. Der Transport dieses Benzins, um ihre Panzer, Schiffe und Flugzeuge am Laufen zu halten, ist eine der größten logistischen Kopfschmerzen für die USA und es war eine Quelle größter Verletzlichkeit während der Militärkampagne in Afghanistan, dass Öltanker, die die US-Streitkräfte unterstützten, oft von Kräften der Taliban angegriffen wurden. Alternative Brennstoffe, solargetriebene Telekommunikationseinheiten und erneuerbare Technologien ganz allgemein ergeben die Aussicht auf ein weniger verletzliches, flexibleres Militär. Der Minister für die US-Marine nennt das offen: „Wir bewegen uns in Richtung auf alternative Brennstoffe in der Marine und dem Marinekorps aus einem Hauptgrund, nämlich um uns zu besseren Kämpfern zu machen.“
Der dritte und wahrscheinlich bezeichnendste Weg, auf dem die USA sich auf den Klimawandel vorbereiten, ist ihre Planung für ‚Sicherheits‘-Bedrohungen. Diese werden in typischer Weise durch Szenarios von Kriegsspielen dargestellt, von denen das berühmteste den Titel trug: „Zeitalter der Konsequenzen: Die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels auf die Außenpolitik und die nationale Sicherheit“. Der Bericht, der 2007 von einem Klüngel von ehemaligen Verteidigungsministern, Sicherheitsanalysten und Forschern aus Think-tanks des Establishments veröffentlicht wurde, skizzierte drei mögliche Klimaszenarios. Die ‚schlimmen‘ und ‚extremen‘ Szenarios malen Visionen vom Staatszusammenbruch, zivilen Konflikten, Jagd nach Ressourcen und Massenflucht in der Art von dystopischen Farben, die man in einem schlechten Hollywoodfilm erwarten würde. Aber das vorherrschende Thema, das heraussticht, ist, dass der Klimawandel ein „Bedrohungsmultiplikator“ ist, der „Stressfaktoren im Ausland verschärfen wird wie Armut, Umweltverschlechterung, politische Instabilität und soziale Spannungen – Bedingungen, die terroristische Aktivitäten und andere Formen der Gewalt ermöglichen können.“
Diese Szenarien sind gefolgt worden von immer detailreicheren Plänen von den vielen verschiedenen Armen des US-Militärs und der Geheimdienste. Das europäische Kommando der USA ist zum Beispiel dabei, Vorbereitungen für einen potenziellen Konflikt in der Arktis zu machen, da das Meereis schmilzt und Öl und Schifffahrt in der Region zunehmen. Im Nahen Osten hat das zentrale Kommando der USA die Wasserknappheit in seine Kampagnenplanung für die Zukunft aufgenommen. Während die USA das Spiel anführen, wo sie führen, tendieren ihre Verbündeten dazu, ihnen zu folgen.
Die Planung für Klimasicherheit der USA hat ähnliche Anstrengungen anderswo angeregt, besonders in Großbritannien, der EU und Australien. Alle haben dieselben Rahmenbedingungen des Klimawandels übernommen und sehen ihn als Auslöser von Konflikten und auch als Ursache von potenziellem weiteren Terrorismus. Namentlich sind es alles westliche Länder mit bedeutenden Armeen; Versuche, bei der UNO das Thema Sicherheit zum Rahmen für den Klimawandel zu machen, sind bei Entwicklungsländern auf Zurückhaltung gestoßen, die Klimawandel richtig als eine Sache von Verantwortung sehen, eine, bei der die Länder, die am meisten dazu beitragen, eine historische Schuld gegenüber dem globalen Süden haben.
Diese Militärplanung für Klimawandel wird flankiert von immer weiter wachsenden Zahlen nationaler Bewertungen für Risikostrategien, Planungen zum Schutz der kritischen Infrastruktur und Notplanungen für die Energieversorgung – teils als Antwort auf den Klimawandel, aber auch in der Reaktion auf immer komplexere Notfälle und Erkenntnis der systemischen Verletzlichkeiten einer allverbundenen Weltordnung. Größere Unternehmen sind auch im Spiel - bei der Entwicklung von Risiko- und Resilienzstrategien – und entwickeln namentlich langfristige Szenarios, die in einigen Fällen die dystopischen Visionen des Militärs spiegeln.
Plötzlich ist Risiko überall und Steuerung ist alles. Das britische „Gesetz über zivile Eventualitäten“ (Civil Contingencies Act) von 2004, entworfen nach 9/11, der Ölkrise von 2000 und dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche 2001, erlaubt der britischen Regierung, ohne ein parlamentarisches Votum einen Notstand auszurufen. Es ermöglicht der Exekutive, „Anweisungen oder Befehle“ von praktisch unbegrenztem Spielraum zu geben, einschließlich Zerstörung von Eigentum, Verbot von Versammlungen, Verbot von Reisen und Illegalisierung „anderer bestimmter Aktivitäten“. Die Notstandsgesetze in Großbritannien – und viele Elemente der darauf folgenden Gesetzgebung – wurden in Australien und Kanada übernommen und haben viel gemeinsam mit den entsprechenden Gesetzen in den USA.
Was wir im Kielwasser des Kriegs gegen Terror und in Militärplanungen für eine klimaveränderte Welt sehen, ist ein Staat höchster Sicherheit, einer, der über die Warnungen Eisenhowers von einem militärisch-industriellen Komplex hinaus geht zu einem breiteren militärisch-industriellen Sicherheitskomplex – einer, den der Sicherheitsexperte Ben Hayes mit den Worten beschreibt: „Eine neue Art von Aufrüstung, eine, in der alle Waffen nach innen gerichtet sind.“ Sicherlich würden die Protestierenden von ‚Blacks Lives Matter‘ in Ferguson oder indigene Protestierende in Peru – zusammen mit vielen anderen kämpfenden Gemeinschaften weltweit – diese Aufrüstung erkennen, wenn sie sich einer immer schwerer bewaffneten Polizei gegenübersehen.
Und für einige erweist sich die neue Aufrüstung in der Tat als sehr lukrativ. Als wenn die Rekordhöhe der weltweiten Militärausgaben (2014 $ 1,8 Billionen) nicht genug wäre, sind sie begleitet worden von einer massiven Expansion der heimischen Sicherheitsindustrie, die seit 2008 jährlich um 5 % gewachsen ist, trotz einer weltweiten Rezession. Vieles betrifft dieselben sattsam bekannten Waffenhändler: Der US-Waffenlieferant Raytheon verkündet offen seine „erweiterten Geschäftsmöglichkeiten“, die aus „Sorgen um die Sicherheit und ihren möglichen Folgen“ erwachsen, aufgrund der „Wirkungen des Klimawandels“ in der Form von „Sturm, Dürre und Fluten“.
Die Vermischung (und fließenden Übergänge) von Militär und Polizei, Staat und Unternehmen, zusammen mit der aufkommenden Dominanz von Sicherheit als dem Rahmen für so viele heutige Aufgaben – man denke an Nahrungssicherung, Energiesicherung, Wasserversorgung und so weiter – bringt ihre eigene Logik und Konsequenzen mit sich. Aus dem Studium von Sicherheitsstrategien wird bald klar, dass, während die erklärten Ziele der Schutz von menschlichem Leben und die Unterstützung sozialer Bedürfnisse sind, einige Bedürfnisse und einige Leben klar wertvoller sind als andere. Migranten, die oft als Bedrohung dargestellt werden, sind klar Wegwerfmenschen – wie wir es so deutlich heute in Europa sehen können. Die häufigen Erwähnungen von Schiffsrouten und Versorgungsketten in Verteidigungsstrategien enthüllen auch, dass die Sicherstellung des problemlosen Handelsflusses des Kapitals eine überragende Priorität genießt. Darüber hinaus schließt die ausufernde Suche nach Bedrohungen nur allzu leicht jede Gruppe ein, die der Ungerechtigkeit zu widerstehen sucht. Zum Beispiel ist es schwer sich vorzustellen, dass eine Minerva-Initiative des US-Verteidigungsministeriums, die US-Akademiker bezahlt, um „die Bedingungen“ aufzudecken, „unter denen politische Bewegungen mit dem Ziel langfristigen politischen und wirtschaftlichen Wandels entstehen“, etwas anderes ist als ein Versuch, solchen notwendigen radikalen sozialen Wandel zu verhindern.
Natürlich ist das die Realität von nahezu jeder Sicherheitspolitik, besonders nationaler Sicherheitspolitik. Sie suchen diejenigen abzusichern, die schon Reichtum haben, und enteignen dabei oft diejenigen, die nicht dazu gehören, indem sie Opfer in Bedrohungen verwandeln. Deshalb ist die Interpretation des Klimawandels in ein Sicherheitsproblem so irritierend. Sie schafft eine doppelt Ungerechtigkeit. Nicht nur leiden diejenigen, die am wenigsten mit der Verursachung des Klimawandels zu tun haben, am meisten von den Folgen des Klimawandels, sondern sie werden nun auch noch angesichts dieser klimatischen Auswirkungen mit Sicherheitreaktionen konfrontiert.
Deshalb wird es entscheidend sein, dass Aktivist*en und Bewegungen für Frieden, bürgerliche Freiheiten und Klimagerechtigkeit sich zusammenschließen, um sich dem behördlichen Sicherheitswahn entgegen zu stellen. Eine klimagerechte Welt wird nicht möglich sein, wenn unsere Antwort auf Sicherheit beruht, und eine friedliche Welt wird nicht möglich sein, wenn wir nicht für Klimagerechtigkeit kämpfen. Lange Zeit hat es eine Tendenz für unsere Bewegungen gegeben, getrennt in verschiedenen Arenen zu operieren, aber das beginnt sich zu ändern, da die Bewegungen das Bedürfnis bemerken, unsere Kämpfe zu verbinden und uns denselben Machtstrukturen entgegenzustellen. Auf den Klimatreffen von Paris – in denen Umweltaktivist*en unter den Notstandsgesetzen nach den Bombenattentaten auch weggefegt wurden – bildete sich der Anfang eines Netzwerks, das Klima- und Friedensaktivist*en zusammenbrachte. Als Umwelt- und Friedensaktivist sagt Tim DeChristopher überzeugend: „Unsere Herausforderung hat sich gewandelt. Es geht nicht nur um die Reduzierung von Emissionen. Wir müssen erarbeiten, wie wir unsere Menschlichkeit hochhalten, da wir uns auf immer schwierigere Zeiten einstellen müssen.“
Übersetzung: Gerd Büntzly
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