Wird die Polizei im Vereinigten Königreich immer mehr wie das Militär?

Author(s)
Betsy Barkas

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Die kürzliche Oppositionswelle gegen die Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten unter dem Motto #BlackLivesMatter hat die Welt alarmiert über die beunruhigende Anwendung tödlicher Gewalt durch zahlreiche US-Polizeikräfte gegen Schwarze Communities. Wenn man sich jedoch die Trends bei der Polizei im Vereinigten Königreich genauer ansieht, sollte die britische Öffentlichkeit hinsichtlich ihrer eigenen Situation nicht selbstgefällig sein.

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Das Konzept der “einvernehmlichen Polizeiarbeit” hatte sehr lange einen besonderen Platz in der öffentlichen Debatte über die Polizeiarbeit im Vereinigten Königreich. Anfang des 19. Jahrhunderts von den ersten Metropolitan Polizeibevollmächtigten (der Kopf der Londoner Polizei) erdacht, sind die Schlüsselvorgaben für „einvernehmliche Polizeiarbeit“: der minimale Einsatz von Gewalt, die Anerkennung, dass die Polizeimacht von der Zustimmung der Öffentlichkeit stammt, die Idee, dass die Polizei von „bereitwilliger Kooperation“ abhängt.

Aber sind diese Prinzipien mehr als nur eine nette Idee? Zumindest teilweise wurden sie erdacht, um eine Öffentlichkeit zu gewinnen, die mißtrauisch war und alarmiert durch die Bemühungen der Regierung, die Metropolitan-Polizei zu etablieren. Eine gängige Meinung zu der Zeit war, dass die Polizeigewalt lokal kontrolliert werden sollten statt von der nationalen Regierung. Das ist bis heute einer der Gründe, warum das Vereinigte Königreich keine nationale Polizeitruppe hat wie so viele andere Länder.

Aber die Communities der schwarzen Bevölkerung und der Migranten erlitten immer unverhältnismäßig schwere Polizeigewalt, d. h. „einvernehmliche Polizeiarbeit“ war nie universell, wenn es sie überhaupt gab. Es existiert tatsächlich eine lange und schamvolle Geschichte der Anwendung tödlicher Gewalt durch Polizisten des Vereinigten Königreichs und eines Mangels an grundlegender Verantwortlichkeit gegenüber den Familien der Opfer. Die neuerlichen Entwicklungen – d.h. dass die Anwendung von Waffen normal wird und die Grenzen zwischen Militär- und Polizeiarbeit verschwimmen – liefern weitere Gründe zur Besorgnis.

Waffen

Der umstrittene Kauf von drei Wasserwerfern im Jahr 2014 erregte öffentliche Besorgnis, dass das Ideal einer unbewaffneten Polizei gefährdet wird. Die potentielle Anwendung dieser Art von Waffen, gepaart mit dem Rückgängigmachen der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, werfen ernste Fragen bezüglich der Fähigkeit britischer Bürger auf, diese demokratischen Freiheiten auszuführen. Anfang diesen Monats schien die Innenministerin in dieser Angelegenheit zu schwanken, als sie verkündete, dass der Anwendung der Wasserwerfer nicht vor den Wahlen im Vereinigten Königreich im Mai zugestimmt würde.

Vielleicht noch besorgniserregender ist die routinemäßige Anwendung von Tasern (Elektroschockwaffen, die von einer Firma namens Taser International hergestellt warden). Am Anfang wurden diese zum Gebrauch durch Spezial-Polizisten eingeführt, aber jetzt werden sie von normalen Polizisten eingesetzt. Obgleich sie als „weniger tödlich“ eingestuft werden, berichtet Amnesty, dass in den Vereinigten Staaten seit 2001 mehr als 500 Menschen nach Taserschocks während der Verhaftung oder der Haft gestorben sind. Im Vereinigten Königreich stieg die Anzahl der Fälle, in denen Taser angewendet wurden, in den letzten Jahre sehr stark und sie beläuft sich nun auf Tausende jedes Jahr. Kürzlich erschienene Zahlen zeigen, dass Taser unverhältnismäßig oft auf Menschen der schwarzen Bevölkerung in London angewendet wurden, und dass sogar auf Kinder im Alter von 11 Jahren. Die Innenministerin hat einen Bericht über die Anwendung angefordert.

Der lange Arm des Gesetzes

Die kürzlichen öffentlichen Debatten über neue Waffen sollten uns jedoch nicht von der beunruhigenden Geschichte der manchmal tödlichen Gewalt durch die Polizei des Vereinigten Königreichs ablenken.

Die Schusswaffenstrategie im Vereinigten Königreich gibt es selten, wenn man die Polizeikräfte global betrachtet, d. h. Polizisten werden nicht „routinemäßig“ bewaffnet. Es gibt jedoch Schusswaffen-Einheiten zur Unterstützung einzelner Polizeikräfte. Teil ihrer Rolle ist es, auf Vorfälle mit Waffen zu reagieren. Aber Schusswaffen-Einheiten werden auch „proaktiv“ innerhalb von Drogen-, Schusswaffen- oder Antiterroreinsätzen genutzt. Diese „proaktiven“ Einsätze beziehen sehr viel aus dem Militärhandbuch, wenden Nachtrazzien an und verlassen sich auf Informationssammelprozeduren, die dem prüfenden Blick der Öffentlichkeit entgehen, da sie in den darauf folgenden Prozessen geheim gehalten werden. Eine weitere besonders umstrittene Taktik, die von den Schusswaffen-Einheiten angewendet wird, ist die „Hard Stop“ Methode: bewaffnete Polizisten in Zivilkleidung in Polizeiautos schneiden einem anderen Fahrzeug den Weg ab, um die Verdächtigen mit extremer physischer Aggression, die sie „schockieren und einschüchtern sollen bis zur Aufgabe.

Der tragische Tod von Azelle Rodney im Jahre 2005 und Mark Duggan im Jahre 2011 durch Schusswaffen-Polizisten im Anschluss an zwei dieser vorgeplanten „Hard-Stop“-Einsätze wiesen eine Anzahl von Ähnlichkeiten auf. Während der Untersuchungs- und Ermittlungsprozesse wurde festgestellt, dass es unzureichende Planung, begrenzte Informationen und einen Erschossenen, der keine unmittelbare Gefahr darstellte und keinerlei Waffe hatte. Andere von der Polizei erschossene Personen, wo es keinen Hard Stop Einsatz gab, wie Anthony Grainger im Jahre 2012, Jean Charles de Menezes im Jahre 2005 und Harry Stanley im Jahre 1999 zeigen auch die tragischen Konsequenzen der Kombination von tödlicher Kraft mit Stereotypen, Vermutungen und begrenzten Informationen.

Der Polizei-Scharfschütze, der Azelle Rodney acht Mal in Kopf und Körper schuss, wird jetzt des Mordes angeklagt. Die Tragödien, die durch die Anwendung tödlicher Polizeigewalt erzeugt werden, werden allgemein nicht strafrechtlich verfolgt, selbst bei den seltenen Gelegenheiten, wenn die Untersuchungen ein Urteil „widerrechtliche Tötung“ ergaben. Es gab tatsächlich in 30 Jahren noch keine erfolgreiche Totschlag-Anklage gegen einen Polizisten im Falle eines Todes in der Haft. Wichtige legale Wege, gegen diese Polizeitaktiken anzugehen, bleiben für die Familien und für die breite Öffentlichkeit unerreichbar.

Antiterrorismus: das Kampfgebiet kommt zu uns

Die Verwischung der Grenzen zwischen Polizeiarbeit und Militär ist besonders klar ersichtlich im Bereich des Antiterrorismus. Die Auseinandersetzung über die Art und Weise, wie diese Einsätze geleitet wurden, gerieten zum ersten Mal nach dem Tod des brasilianischen Elektrikers Jean Charles de Menezes ins Blickfeld, der auf dem Weg zu seiner Arbeit in einem Wagen der Untergrundbahn durch Polizisten erschossen wurde, die in Folge der Londoner 7/7 Bombenanschläge im Jahre 2005 einen stümperhaften Antiterrorismus-Einsatz durchführten. Es wurde später bekannt, dass es innerhalb dieses Polizeieinsatzes zu einer Reihe von Versäumnissen hinsichtlich Kommunikation und Strategie gekommen war. Zumindest ein Teil der Verwirrung stammte von den „Kratos“-Richtlinien – einem Satz Antiterrorismusprotokollen, die nach 9/11 nach Rücksprache mit einer Reihe nationaler Polizeikräfte (einschließlich derjenigen in Israel und Sri Lanka) entwickelt wurden.

Was danach viele Leute schockierte war, dass die Kratos-Richtlinien mehrfache Schüsse in den Kopf empfehlen: de Menezes wurde siebenmal in den Kopf geschossen. Worüber weniger gesprochen wurde, war, dass die normale legale Rechtfertigung für den Gebrauch von Waffen durch das neue Protokoll unterwandert wurde. Die konventionalle nicht-Kratos Schusswaffenrichtlinie bestimmt, dass Polizisten nur bei unmittelbarer Bedrohung schießen dürfen, und dass dies für jeden einzelnen Schuss gilt. Kratos ersetzte diese Richtlinie durch eine Kommandostruktur auf der Basis der Annahme, dass ein befehlender Polizist Zugang zu Informationen habe, den die Polizisten vor Ort nicht haben – woraus die Möglich erwächst, dass Polizisten den Befehl zum Todesschuss geben könnten, obgleich von Funktionären nie zugeben wurde, dass Kratos darauf hinaus laufen könnte.

In jüngerer Zeit haben Antiterrorismus-Initiativen das Militär selbst gebeten, sich an der Polizeiarbeit zu beteiligen. Im Anschluss an die Morde bei Charlie Hebdo und dem jüdischen Supermarkt in Paris wurden Special Air Service-Einheiten (SAS, Teil der britischen Armee) nach ihren Einsätzen im Irak, Afghanistan und Libyen in den Straßen des Vereinigten Königreichs eingesetzt, um mit der Polizei zu arbeiten, mit der größten Inlandsarmeestationierung seit den Olympischen Spielen 2012 in London. Die SAS arbeitet Berichten zufolge auch mit „Humint“-Einheiten – verdeckte Informationssammler, die in Afghanistan und Iraq eingesetzt waren und es jetzt in Städten im Vereinigten Königreich sind. Es ist schwierig zu erkennen, wie diese Einsätze überhaupt verantwortlich gemacht werden können; es gibt in der Öffentlichkeit über diese verdeckten Einheiten oder die SAS kaum Informationen.

Eine dringende Debatte

Das Schauspiel der Special Forces in den Straßen von Paris im Gefolge der Januar-Morde wäre zu einer anderen Zeit als schockierend empfunden worden – es wurde kaum kommentiert. Spiegelt das eine stillschweigende Akzeptanz wieder für das Verwischen der Grenzen zwischen Militär und Polizei? Eine Atmosphäre generalisierter Angst scheint die Position derjenigen zu stützen, die meine, dass eine militarisiertere Polizei der einzige Weg zu mehr Sicherheit für die Öffentlichkeit sei: im Januar wurde die Androhung ähnlicher Übergriffe im Vereinigten Königreich als Rechtfertigung genommen, 25 Schusswaffen-Polizisten in Manchester, die kurz vor der Pension standen, nicht gehen zu lassen.

Aber genau zu diesen Gelegenheiten, wenn der Staat der Ansicht ist, seine eigenen Bürger seien der „Feind von innen“, ist das Infragestellen der Anwendung von Gewalt innerhalb der Polizeiarbeit sogar noch viel wichtiger. Zusammengefaßt: diese Trends hin zur Militarisierung der Polizeiarbeit erfordert eine viel breitere und dringendere Debatte.

Betsy Barkas ist eine Aktivistin zu den Themen Polizeiverantwortlichkeit, Rassismus und Gewaltanwendung und ist an mehreren Graswurzel-Kamagnen in London beteiligt.

 

Informationen zur Autorin

Betsy Barkas is a campaigner on the issues of police accountability, racism and use of force, and is involved in several grassroots campaigns in London.

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