Gesucht: Eine gewaltfreie Strategie fuer die weltweite Bewegung fuer Frieden und Gerechtigkeit

Artikel aus The Broken Rifle No 69, February 2006 Teil der Sonderausgabe fuer die Konferenz ueber weltweite Gewaltfreiheit

Stellan Vinthagen

Wir leben in einer Zeit geschichtlichen und sozialen Wandels. Ebenso wie die Wirtschaft, Staaten und der Krieg globalisieren sich auch die die sozialen Kraefte der Bewegungen. Gegen den Irak-Krieg demonstrierten 2003 mindestens 15 Millionen Menschen. Die Zusammenkunft der „globalen Bewegung der Bewegungen“ beim Weltsozialforum waechst weiterhin; die letzte, in Brasilien, hatte 150000 Teilnehmende. Die weltweiten Bewegungen fuer Frieden und Gerechtigkeit haben aus den frueheren Reform-Strategien gelernt, die durch nationale Parteien, Wahlen, Revolutionen und bewaffnete Aufsteande verfolgt wurden, und sie suchen nach einer gewaltfreien Strategie fuer sozalen Wandel.

Ein zweifaches Problem

Globale Auseinandersetzungen wie die in Prag (mit der Weltbank), in Göteborg (mit der EU) oder in Genua (mit den G8) machen ein Problem deutlich, das es momentan gibt, weil eine konsistente Strategie fehlt: gewaltsame Aufstaende und unwirksamer gewaltfreier Widerstand. Diesen und anderen Protesten ist es auch nicht gelungen, wirkungsvolle gewaltfreie Konfrontationen und konsistente Strategien fuer die gewaltfreie Auseinandersetzung mit den weltweit Maechtigen zu organisieren. Dieses zweifache Problem resultiert zum Teil aus dem Fehlen von Faehigkeiten der Gewaltfreiheit in der Bewegung. Nur sehr wenige Leute, die Kenntnisse in gewaltfreier Theorie und Bewegungspraxis haben, sind als OrganisatorInnen an dieser Bewegung beteiligt (mit einigen Ausnahmen in den USA).

Es ist schon klar, dass es sich bei dieser weltweiten Bewegung nicht um einen simplen Mobilisierungsausbruch handelt, sondern um eine weiter voranschreitende Mobilisierung. Das Weltsozialforum bemueht sich ausdruecklich um eine unbewaffnete und nicht an Wahlen orientierte Politik (Genaueres dazu findet sich in der Charta des WSF auf www.forumsocialmundial.org), ohne dass beschrieben wird, was damit gemeint ist. Da bislang keine gewaltfreie Strategie entwickelt wurde, gibt es nun eine fortlaufende Diskussion darueber, sich von globalen Konfrontationen weg zu bewegen. Die Konfrontationen werden als unproduktiv empfunden, und es wird als zu stark symbolisch angesehen, wenn die Logos der gegenwaertigen Weltordnung (Bush, Welthandelsorganisation, G8, etc.) zerschlagen werden, und als besser empfunden, Alternativen sichtbar zu machen und lokalen Widerstand zu gestalten. Konstuktive Alternativen werden stark betont – und tatsaechlich waren sie ein wesentlicher Bestandteil gewaltfreier Strategie nach Gandhi – das Problem ist nur, dass ein Widerstandskonzept fehlt.

Nach meinem Verstaendnis ist die gegenwaertige weltweite Bewegung eine, die reif ist fuer eine gewaltfreie Widerstands-Strategie als Konzept fuer Politik und soziale Veraenderung. Die Sprache der Gewaltfreiheit ist bereits in vielen Workshops, Erklaerungen und Organisationen zu hoeren: Bezugsgruppen, Ungehorsam, friedlich, Dialog, Richtlinien, etc. . Organisationen wie War Resisters' International (WRI) haben die Moeglichkeit, zu dieser Entwicklung einer gewaltfreien Strategie beizutragen. Nichtsdestotrotz, ist es nicht nur die weltweite Bewegung, der das Verstaendnis einer gewaltfreien Strategie fehlt, sondern wir, die wir an Gewaltfreiheit arbeiten, brauchen ein globales Verstaendnis von Gewaltfreiheit, und wir muessen gemeinsam mit der weltweiten Bewegung fuer Frieden und Gerechtigkeit ein globales Repertoire gewaltfreien Widerstands entwickeln. Die Herausforderung fuer Gewaltfreiheits-Aktive und WissenschaftlerInnen besteht darin, aus vergangenen Erfahrungen etwas Neues zu entwickeln.

Jenseits traditionellen Politikverstaendnisses

Die Bewegung der Bewegungen begibt sich sowohl jenseits der lokalen und globalen Ebenen der Politik, als auch jenseits von Politiken, die sich mit bestimmten Bereichen (z.B. Militarismus, Wirtschaft, Kultur, oder Umwelt) oder Themen (z.B. Atomwaffen, Wehrpflicht, genetisch hergestellte Lebensmittel, Agrobusiness oder tausende anderer Themen, die sich mit den schlimmen Folgen der gegenwaertigen Weltordnung befassen) beschaeftigen. Sie ist eine Bewegung, die die ganze Vielfaeltigkeit sozialen Miteinanders reflektiert, und sie spiegelt die Verschiedenartigkeit der Taktiken wieder, die es braucht um dieses Miteinander zu schuetzen. Zu verstehen, was dies fuer gewaltfreien Widerstand bedeutet, ist schwierig, aber es ist etwas deutlich Anderes. Wir brauchen einen allumfassenden strategischen Rahmen, der verschiedenen Zusammenhaengen und Bedarfen angepasst werden kann.

Traditionell waren Ansaetze, die sich kritisch mit Machtverhaeltnissen auseinandersetzten (wie Feminismus oder Anarchismus) und Gewaltfreier Widerstand eher Randerscheinungen der “Mehrheits-Oppositions-Politik” – aber heute ist das nicht notwendiger Weise so. Es scheint, dass nun Ansaetze mehr gebraucht werden, die sich nicht nur kritisch mit Unterdrueckung und Gewalt aller Arten befassen, sondern aus jahrhundertelanger Erfahrung praktische Ansaetze fuer die Gestaltung von Veraenderung mitbringen. Ich bin mir sicher, dass die weltweiten Bewegungen das Angebot brauchen, sich fuer eine umfassende Alternative zu den ueblichen politischen Traditionen entscheiden zu koennen. Wenn die kommenden Kaempfe globaler Konfrontationen nicht auf die (begrenzten, aber wohl verankerten) historischen Entscheidungen gewaltfreier Bewegungen aufbauen, wird diese anfaellige Bewegung der Bewegungen im Werden weniger wirkungsvoll sein und koennte sogar seine Mobilisierungsfaehigkeit und seine Kraft verlieren, dauerhaften Wandel zu schaffen.

Worauf wir abzielen: WRI, War Resisters' International ruft Gewaltfreiheits-TrainerInnnen, WissenschaftlerInnen und OrganisatorInnen zur Teilnahme an der Konferenz “Gewaltfreiheit globalisieren” auf, um gemeinsam zu erkunden, wie wir in den globalen Netzwerken mit einer gewaltfreie Widerstands-Strategie arbeiten koennen. Wir glauben nicht, dass wir schon die Antworten auf die Frage haben, wie wir diese –gelinde gesagt – gigantische Aufgabe bewaeltigen koennen, aber wir wissen, dass wir es versuchen muessen; die Geschichte fordert dies von uns.

Am wichtigsten ist es, anzuerkennen, dass das gegenwaertige Wissen ueber Gewaltfreiheit, die Trainingsformen, Strategien, Organisationsformen und Aktionsformen (d.h. unser Gewaltfreiheits-Repertoire) im Einklang mit den globalen Bedingungen entwickelt werden muessen. Was genau entwickelt werden muss, ist noch unklar, aber wir haben erkannt, dass wir eine neue Situation haben. Die globalen Bewegungen werden uns helfen, die neue Situation zu verstehen, und dann werden wir hoffentlich unser Verstaendnis gewaltfreier Strategie dazu beitragen koennen, dass die weltweite Bewegung der Bewegungen nicht nur die gegenwaertige Weltordnung in Frage stellt, sondern sie auch wirkungsvoll veraendert. Eine andere – und gewaltfreie – Welt ist moeglich!

Stellan Vinthagen, WRI Triennial Committee, and Department of Peace & Development Research Göteborg University, Sweden stellan.vinthagen@padrigu.gu.se

Dieser Artikel ist die stark gekuerzte Fassung eines Artikels, der in einer Artikelserie von War Resisters International (WRI) im Vorfeld der Internationalen Dreijahres-Konferenz im Juli 2006 in Deutschland veroeffentlicht wurde. In der Originalfassung des Artikels (auf http://wri-irg.org/tri2006/en/news/msg00001.html) ist eine Analyse zu den Folgen zu finden, die die Globalisierung fuer die zeitgenoessische Politik hat, ebenso wie ein detaillierter Aktionsplan zur Entwicklung einer gewaltfreien Strategie fuer die globale Bewegung fuer Frieden und Gerechtigkeit.

 

 

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