Was es bedeutet, Beobachterin zu sein

Zu Anfang dieses Jahres habe ich für drei Monate in Bethlehem gelebt, in den besetzten Palästinensergebieten. Ich war Teil des Ökumenischen Begleitprogrammes in Palästina und Israel (Ecumenical Accompanier Programme in Palestine and Israel, EAPPI). Ökumenische Begleiter (Ecumenical Accompaniers, EAs) sind Menschenrechtsbeobachter, die sich bemühen, Verletzungen von Menschenrechten und der internationalen humanitären Gesetzgebung zu beobachten und zu berichten; sie bieten eine “schützende Präsenz” (mehr darüber später!), zeigen sich solidarisch mit verletzlichen Gemeinschaften und treten für sie ein. Wir arbeiten daran, Respekt für das internationale Recht aufzubauen und die Besetzung palästinensischen Gebietes zu beenden.

Ich werde nun über drei Arten von Furcht reden, die ich als EA empfunden habe:

1) Körperliche Furcht von Menschen, in unmittelbarer Nähe zu Personen mit Waffen
2) Furcht, dass deine Arbeit behindert wird
3) Furcht, dass deine Arbeit zwecklos ist
und wie ich damit umgegangen bin.

Zuerst ist da die Angst, die davon rührt, dass Waffen um dich herum sind (es ist interessant, wenn auch vielleicht unbequem, sich daran zu erinnern, dass diese selben Waffen anderen Menschen das Gefühl von Sicherheit geben.) Das kann eine körperliche Angst sein, die du hinten im Nacken fühlst, in deinem Magen und auf tausend andere Weise.

Ich erfuhr das, als ich “Schutz durch Präsenz” lieferte: Gelegenheiten, wenn unsere Anwesenheit von örtlichen palästinensichen oder israelischen Aktivisten angefragt wurde, weil unsere Sichtbarkeit als internationele Beobachter wahrscheinlich das Risiko von Gewalt verringerte. Fotos oder Filme zu machen, ebenso wie Notizen, verbessert diesen Schutz, denn das sendet eine Botschaft: wenn du etwas Falsches machst, beobachtet dich jemand dabei, und die Welt wird es herausbekommen. Natürlich ist das nicht immer erfolgreich – einige Soldaten oder radikale israelische Siedler, die illegal im Westjordanland leben, sind immun gegen internationale Kritik (wie natürlich auch einige militante Palästinensergruppen), aber wir wurden noch immer eingeladen.

In Bethlehem nutzten wir diese Anwesenheit regelmäßig an militärischen Kontrollstellen, bei gewaltfreien Demonstrationen gegen den Bau der Trennmauer und bei dem “Schulrennen” - außerhalb einer Grundschule im Palästinenserdorf Tuqu', wo das israelische Militär zweimal pro Tag vorbeikommt, wenn die SchülerInnen ankommen und wenn sie die Schule verlassen. Eine machtvolle Erinnerung für mich ist das Bild, direkt zwischen den Kindern zu stehen, die in die Schule gingen, und den Soldaten, ebenso als emotionaler Schutzschild wie als körperlicher.
Beunruhigend ist, wie die Angst vor Waffen sich bei Vertrautheit auflöst. In einer militarisierten Gesellschaft ist der Schrecken, in der Nähe von Maschinen zu sein, die Menschen töten, winzig, verglichen mit Gemeinschaften, die sie selten sehen.

Mary Morris, Begleiterin aus Oregon, mit einem 3 Jahre alten Jungen, der auf ein Taxi wartet, das ihn in seine Vorschule bringen soll. Hinter ihnen sitzen zwei israelische Soldaten in einem IDF-Jeep.
Diese Normalisierung habe ich erlebt. Wenn ich in Israel selbst reiste, bemerkte ich kaum je die Anwesenheit von Waffen. Regelmäßige Besuche von anderen Internationalen, die weniger gewöhnt waren, Zeugen von Gewalt zu sein – wenn ich den Schrecken in ihren Augen sah, wenn ich ihnen über Kinder berichtete, die mitten in der Nacht mit vorgehaltener Pistole in ihren Wohnungen festgehalten wurden, weil die Soldaten aufs Dach steigen wollten – erinnerten mich, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung ist , und halfen mir, meinen eigenen Sinn für Alarm wiederzugewinnen. Es mag unter diesen Umständen üblich geworden sein, aber es sollte nicht normal sein, und sicherlich ist es nicht menschenwürdig.

Zweitens gibt es die Angst vor Repression. Israelische Soldaten erinnerten uns regelmäßig daran, dass sie “Aktivisten” (eine sarkastische Untertreibung) nicht sehr schätzen und konnten mit Worten extrem aggressiv sein. Noch aggressiver waren die privaten Sicherheitsleute, die bei Kontrollstellen angestellt waren. Sie vertrieben uns von der Kontrollstelle, drohten uns mit Verhaftung und konfiszierten zeitweilig unsere Pässe, um “Sicherheitsüberprüfungen” vorzunehmen. Da ich für eine Organisation arbeitete, die überall im Westjordanland aktiv ist, war ich mir bewusst, dass mein Zusammentreffen mit dem Militär negative Folgen für Personen haben konnte, die anderswo für EAPPI arbeiteten oder, noch schlimmer, für örtliche palästinensische oder israelische Aktivisten. Diese Beobachtung macht einen äußerst vorsichtig.

Auf der anderen Seite waren einige Soldaten höflich und neugierig. Einer, russischer Herkunft, berichtete, wie sehr er sich an Kontrollstellen langweilte; ein anderer erzählte meinem Kollegen, dass er ein Pazifist aus Tel Aviv sei und sagte, wie schwer es ihm fiele, diese Arbeit zu tun. Solche Augenblicke waren entscheidend für mich, da sie die Menschlichkeit der Menschen innerhalb der militärischen Institution verstärkte.

Schließlich gibt es die Furcht, dass du nicht hilfst. Internationale, die Solidarität anbieten, werden von israelischen AktivistInnen gegen die Besatzungspolitik und örtlichen PalästinenserInnen meistens mit offenen Armen aufgenommen, aber dieses Willkommen kann ein Druck werden, da das Leben unter der Besatzung – man könnte es Verzweiflung nennen – die Erwartungen auf eine unrealistische Höhe hebt.

Während diese Angst trivial klingen mag, war es genau diese Sorge – dass ich die Menschen im Elend lasse – die bei mir zurückgeblieben ist. Die einzige Zeit, die ich mich nicht schuldig fühle, dass ich in der Lage bin, wieder abzureisen und in Europa ein Leben in Freiheit zu führen, ist, wenn ich anderen Menschen darüber erzähle, was passiert, denn in solchen Augenblicken fühle ich, dass ich etwas verändere.

Es ist wichtig zu sagen, dass ich unveränderlich die Soldarität meiner übrigen EAs, ebenso wie meiner Freunde und meiner Familie in Großbritannien gefunden habe. Von den letzteren wussten die meisten nichts über den Konflikt; einige wenige wussten eine Menge. Auf jeden Fall waren sie interessiert und glücklich, mir zuzuhören, wenn ich reden wollte. In Kontakt mit Menschen außerhalb der Situation zu sein, kann auch deinen Sinn für Perspektive fördern; während diese Situation dringlich und gebieterisch ist, hast du als Beobachter auch ein Leben und Verantwortung zu Hause.

Wenn ich über meine Ängste rede, ist es wichtig, mich daran zu erinnern, dass ich Privilegien hatte: eine Weste, die meinen Status als Beobachter zeigte, die Unterstützung des Personals von EAPPI, und einen britischen Pass.

Meine Ängste waren nichts im Vergleich zu denen vieler Israelis und Palästinenser, die vom Konflikt berührt sind.

In Wadi Rahal, einem Dorf mit 1000 Einwohnern in der Nähe von Bethlehem, sind alle miteinander verwandt. Es gibt eine familiäre Atmosphäre, wenn man durch die Straßen geht. Von dort kann man die illegale isralische Siedlung Efrat sehen, 50 Meter vom Rand des Dorfes entfernt. Der geplante Verlauf der “Trennmauer” wird die Dorfbewohner weitgehend von ihrem Land abtrennen und nur wenige Meter von der Dorfschule verlaufen.

Vor einigen Jahren begannen die jungen Leute von Wadi Rahal ein Widerstandskomitee von unten: an jedem Freitag beteten und protestierten die Dorfbewohner auf dem Land, das ihnen genommen werden sollte. Zu ihnen kamen internationale und israelische Friedensaktivisten. Anas, ein Student auf Wadi Rahal, war dankbar für ihre Unterstützung: “Ich werde die isralische Solidarität mit uns niemals vergessen. Sie kamen viele Male, um uns zu helfen, den ganzen Weg von Tel Aviv.”

Seit kurzen haben diese Proteste aufgehört. Personal von der privaten Sicherheitruppe aus Efrat sagte der Gruppe, dass, wenn sie mit ihren Aktivitäten nicht aufhören, würden alle aus dem Dorf, die eine Erlaubnis haben in Israel zu arbeiten, diese verlieren.

Anas sieht das nicht als eine Niederlage. Er sagt, dass diese Drohung ein Beweis dafür ist, dass ihre Kampagne eine Wirkung hatte: “Einige sagen, dass Widerstand von unten nichts ändert, aber ich sage, warum wären sie sonst gekommen und hätten mit uns geredet, wenn wir keinen Unterschied machten?” Während die Proteste in Wadi Rahal ausgesetzt sind, erwarten die Menschen im Dorf Proteste in den Nachbardörfern.

In Sderot, einer israelischen Stadt ganz in der Nähe des Gazastreifens, traf ich eine jüdisch-israelische Frau mit Namen Roni. Sie erzählte mir von der Entfremdung, die sie von ihrer Familie erfuhr, als sie sich einer Aktivistengruppe anschloss – mit Mitgliedern aus Israel und Gaza – die nach kreativen gewaltfreien Aktionen suchen, um in der Region Hoffnung zu verbreiten. Während sie ihren Sinn für Panik und Furcht teilt (ihr Enkel wurde von einer Rakete verletzt, die von Gaza aus gefeuert wurde), sagte sie, sie könne sich nicht blenden lassen.

Diese Ängste – die Folgen des Verlustes der Arbeitserlaubnis oder Entfremdung von deiner Familie – sind merklich und schwächen die Menschen. Mein Leben in Bethlehem war in keinster Weise so. Wenn ich auch beunruhigt war durch Dinge, die ich erlebte, so versuchte ich, diese Ängste in einer Perspektive zu halten, nahe bei den Ängsten der Menschen wie der Aktivisten von Wadi Rahal und Roni in Sderot.

Also nutzte ich als Antwort auf die Ängste, die ich hatte, während ich im Westjordanland lebte, drei Werkzeuge, die in keinster Weise neu sind, aber die sehr mächtig waren:

  • Die Dinge in Perspektive halten (sowohl durch Kontakt mit Menschen außerhalb der Situation wie durch Vergleich mit den Ängsten derjenigen, die unter der Besatzung leben)
  • Zu allen Zeiten nach der Menschlichkeit in anderen suchen
  • Die Solidariät derjenigen in meiner Nähe hegen
  • Dieses sind die Lektionen, die ich versuchen werde, in meiner zukünftigen Arbeit mit mir zu nehmen.

    Hannah Brock

    Foto: Hannah Brock und Steve Hynd

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