Zwischen der Poesie, dem Schmerz, den Erinnerungen, dem Zauber und der Wut

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aus Solidard, Berichte und Analysen aus Chile, Nr. 213, Mai-April 2001-11-12

Die Wiederbegegnung mit der Villa Grimaldi

Roberta Bacic

Man hat mich eingeladen, in dieser Zeitschrift von Freunden aus dem Norden, die sich für unsere chilenische Geschichte interessieren, über das Thema Folter zu schreiben. Es ist keine Thema, das Neutralität oder eine unparteiische Haltung erlaubt, aber es stellt sich als schmerzlich, schwierig und beinahe quälend heraus, einen Modus zu finden, über sie zu sprechen, der es uns ermöglicht in die Paradoxien, die Emotionen und die Rationalität, die diese menschliche Handlung hervorruft, einzudringen. Ich werde mit Ihnen teilen, was mir in jenem Augenblick in den Sinn kam, meinen ersten Besuch in der Villa Grimaldi, Folterzentrum der CNI, seit es in eine Körperschaft Park für den Frieden Villa Grimaldi verwandelt wurde mitzuteilen.

Diesen Sonntag, den 25. März 2001, nachdem ich Teilen meiner persönlichen, sozialen, politischen und professionellen Geschichte wieder begegnet war, die in Zusammenhang stehen mit gefolterten Personen, habe ich beschlossen, die Villa Grimaldi/Park für den Frieden/Folterzentrum zu besuchen. Hartnäckigkeit und Freundschaft erreichten dies am letzten Tag, bevor ich ein Lufthansa Flugzeug nach London bestieg, wo ich seit 1998 lebe. Vom Zentrum Santiagos, gegenüber der San Francisco Kirche, in der am 24. eine Homage an Bischof Oscar Romero stattgefunden hatte, bestiegen mein irischer Lebensgefährte und ich einen Bus in Richtung Peñalolén. Während der Fahrer seinen Weg mit wenigen Passagieren fortsetzte, stieg der eine oder andere ambulante Verkäufer ein um uns Wassereis zu verkaufen. Ich betrachtete die Häuser, die Straßen, die Gärten, die Menschen und den Verkehr und mir kam die Melodie eines Liedes von Pablo Milanés in den Sinn: "volveré a pisar las calles nuevamente de lo que fue Santiago ensangrentada". ("Ich werde wiederkehren, um die Straßen des in Blut getränkten Santiagos wieder zu betreten"). Ich war fest entschlossen diese Erfahrung zu durchleben und auf das zu treffen, was die Genossen aufgebaut haben um diesen sich Raum zu erobern, der in dieser Form einzigartig in Südamerika ist. Die Gesichter der Menschen, die meinen Blick kreuzten verwandelten sich in die Freunde, Genossen, Kollegen und Familienangehörigen der Verschwundenen und der Exekutierten, die Folter erlebt haben oder ihr begegnet sind. Ich erinnere mich nicht an die Körper. Nur die Gesichter und mehr noch als die Gesichter erschienen mir die Blicke, das Lächeln und die Gesten, die dieses Leben entstehen ließ. So viel Leben verhaftet in der Netzhaut und Erinnerungen, die gegenwärtig sind und es auch in Zukunft sein müssen.

Der Park ist wegen Personalmangels für die Öffentlichkeit gesperrt, aber wie bereits erwähnt, schafften es Hartnäckigkeit und freundschaftliche Verbindungen den Richtigen ausfindig zu machen, denjenigen der die Schlüssel verwaltet und der Urheber dieses Projektes ist. Unser Freund erwartete uns, öffnete uns das Tor und - in diesem Augenblick - machte sich eine friedvolle Atmosphäre, ein Grün mit bunten Flecken, hohe, dichtbelaubte Bäume, ?Weite und eine wärmende Sonne zwischen meinen Gefühlen breit. Wir spazierten langsam, Luis erzählte von Zeit zu Zeit, mal angeregt von dem Ort, den wir betraten, mal auf Einladung die Stille zu brechen und hin und wieder als Antwort auf meine schüchternen Fragen. Der von Gaudi gestaltete Park ?Gel, der mich in Barcelona vor einigen Jahren verführt hatte, kam mir in den Sinn. Weshalb? Weil sich an jeder Station, an der eines besonderen Ortes gedacht wird, wie z.B. der "Frauenzelle", eine Betonplatte mit Bruchstücken von Fliesen, Ziegeln und Steinen befindet, die uns symbolisch durch Farbe und Form mit den Leben derjenigen verbinden, die hier hindurch gekommen sind. Es ist eine reale, fassbare Erinnerung, "nicht makaber innerhalb des Makabren", wie es Luis ausdrückte, an das was dort war und lebt. Er erklärte uns auch, dass der Wunsch die Steine und Fliesen zu nutzen, aus der Tatsache entsprang, dass häufig der Fußboden das Einzige war, was diejenigen, die diesen Ort durchlaufen haben, zu sehen bekamen, da ihnen die Augen verbunden worden waren. Die Bäume haben die Verbrennungen überlebt, die man ihnen zugefügt hatte, bevor man das Folterzentrum schloss und sie haben neue dicht belaubte Zweige gebildet. Sie wachsen frei, die Spuren der Misshandlung lassen sich jedoch nicht mehr ausradieren. Wir setzen unseren Rundgang fort und gelangen an die "Mauer der Namen". Dort sind die Namen derjenigen eingraviert, die hier starben oder verschwanden. Niemand konnte der Folter entkommen. Es überfiel uns eine weiche, intime Stille. Vertraute Geschichten lösten sich von der tiefsten Tiefe der Erinnerung und als ich etwas über Bautista van Schouwen fragte, an das ich mich jetzt nicht mehr erinnere, durchlief ein kalter Schauer meinen Körper. Die Haare sträubten sich, die Muskeln waren gelähmt und die Umstände seiner Ankunft, seines Aufenthaltes und seines Leidens in der Villa haben mich seither keinen Augenblick lang in Ruhe gelassen. Wenn ich etwas gelernt habe in diesen Jahren bezüglich Menschenrechtsfragen, ist es, dass weder die Ungerechtigkeit noch der Horror jemals Gewöhnung aufkommen lassen. Sie sind ein ausbrechender innerlicher Vulkan, der darauf wartet freie Bahn zu bekommen.

Worauf spielt die "Poesie" im Titel an? In dieser selben Woche fand eine weltweite Versammlung in Chile statt in Erinnerung an die Nobelpreisvergabe an Pablo Neruda vor 30 Jahren. Am Mittwoch den 21. besuchten Ernesto Cardenal, Gonzalo Rojas, Juan Gelman, Adrienne Rich, Amanda Berenguer und viele andere die Villa Grimaldi.

"Es rief einen Schauer hervor Juan Gelman zu hören", den Vater und Schwiegervater eines Pärchens, das in Argentinien festgenommen wurde und verschwand und Großvater einer Enkelin die in Gefangenschaft zur Welt kam, schrieb Ximena Villanueva in der Tageszeitung El Metropolitano am Donnerstag den 22.

Zu dieser Begebenheit bemerkte Alberto Blanco: "Hier gibt es ein unglaubliches Bedürfnis Dämonen auszutreiben, eine schüchterne Hoffnung, dass die Poesie eine Hilfe sein könnte." Und sie ist es. Am Freitag den 23. vereinten wir, etwa 80000 Personen, uns zu einer Dichterlesung auf der Plaza de la Constitución. Nachdem ich 3 Jahre fern von meiner Heimat lebe, war die Tatsache an sich schon ein gewichtiger Akt uns wieder vereint zu sehen in einer heißen Sommernacht, und wie wir dabei aufmerksam einem Dichter nach dem anderen zuhörten, die von den Büros des Präsidenten und der Regierung lasen und dabei die aufgerichtete Statue Allendes, der mit ganzem Körper und mit den Rücken zum Justizpalast abgebildet ist, im Blick zu haben. Gonzalo Rojas zuzuhören, wie er sich offen über die Folter äußert, als er ein wunderschönes Sebastián Acevedo gewidmetes Gedicht vorliest, der sich lebendig verbrannte in seiner Verzweiflung um den Aufenthalt seiner Kinder zu erfahren, die von der Geheimpolizei festgenommen wurden. Dies verwandelte die Folter in eine soziales Ereignis, eine Erfahrung, die man mit schönen Worten vermittelt, die den Schmerz noch tiefer fühlen lassen.

Wie könnte man sich in jenem Augenblick, sowie später in der Villa Grimaldi, nicht des Padre José Aldunate erinnern, den Gründer des Movimiento Contra la Tortura Sebastián Acevedo (Bewegung gegen die Folter Sebastián Acevedo), als Tribut an denselben Acevedo der Rojas für sein Gedicht inspirierte hatte. Ich erlebte beinahe hautnah die Erfahrung von Solidarität aufs Neue und diese Kraft, die wir erlebten als wir an diesen Aktionen teilnahmen und die mehr als einmal unauslöschbare Spuren der Repression an seitens der Polizisten an unseren Körpern hinterließen. In jener Nacht, auf dem Plaza de la Consitutción sollten Polizisten für öffentliche Ordnung sorgen, aber sie konnten nicht umhin die Gedichte zu hören, die auf die eine oder andere Weise ihre Verurteilung der Diktatur und seiner Auswirkungen zur Sprache brachten.

Ich schließe mit einer Strophe von Pablo Neruda aus den "Höhen des Macchu Picchu".

"Ich Komme, zu reden durch Euren toten Mund
Durch das Erdreich hindurch vereint alle
Die schweigenden und verstreuten Lippen,
und aus der Tiefe sprecht diese ganze lange Nacht zu mir,
als ob ich verankert wäre mit Euch…..

Anmerkung: Auf Grund meines Besuches, und später bei einer langen Unterhaltung mit Luis über die Notwendigkeit den Park mehr zu Bildungszwecken zu nutzen, habe ich versprochen mit der Gedenkstätte Villa Grimaldi in Kontakt zu bleiben und zu versuchen, von Europa aus Gelder für ein kleines Projekt zu sammeln, die es erlauben würden dieser Erfahrung Fortsetzung zu ermöglichen. Ich werde die Redakteure dieser Zeitschrift weiter informieren, um zu sehen, ob jemand interessiert ist, sich dieser Initiative anzuschliessen.

Die Chilenin Roberta Bacic arbeitet zur Zeit für War Resisters' International in London.
Übersetzung: Johanna Brandis.
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