Seid realistisch - fordert das Unmögliche!

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Howard Clark

Wenn ihr Euch an eine Situation erinnert in der Ihr Empowerment erlebt habt, frage ich mich, ob ihr jetzt meint, es sei nur ein Gefühl in dieser speziellen Situation gewesen. Damals hast Du oder Deine Gruppe die Kraft entwickelt, etwas zu bewirken, oder ihr hattet zumindest das Gefühl etwas bewirkt zu haben. Vielleicht habt ihr sogar eine dauerhafte Veränderung erreicht, aber das Gefühl war nicht von Dauer. Es verflog langsam. Ein Gefühl von Empowerment ist etwas, was immer wieder neu belebt werden muß.

Die verschiedenen Arten von Empowerment-Aktivitäten, -Haltungen und Lebensstilen wirken ansteckend. Nach einiger Zeit streben wir dann jedoch nach Verbesserung, einer weiteren Hürde, die überwunden werden soll, einem zusätzlichen Aspekt, einer Neuerung, besseren Ergebnissen.

So kann die erste Straßenaktion, an der wir teilnehmen uns zwar ein Gefühl von Empowerment vermitteln, aber dann brauchen wir bald etwas Neues, mehr Leute, größere Anzahl verschiedener Gruppen, eine bessere Wirkung. Wenn wir dann aber einen Punkt erreicht haben, ab dem es schwierig wird die gesellschaftliche Mobilisierung noch weiter zu steigern, begehen oft viele von uns den Fehler, militantes Auftreten für Empowerment zu halten. Es kommt dann zu einer Eskalation der Aktionen in der Hoffnung auf ähnliche Ergebnisse, zum Beispiel bezüglich einer möglichen Spaltung der Meinungen oder der Berichterstattung in den Medien. Die Militanz hat jedoch ihren Preis. Oft wird hierdurch die soziale Ausgrenzung, die Aktivisten erleben, noch verstärkt, wodurch es wiederum zu einem Rückgang der gesellschaftlichen Unterstützung für unsere Aktionen kommen kann. Dies kann also dazu führen, dass unser Empowerment immer weiter abnimmt und somit auch die Erfolgsaussichten bei der Veränderung der konkreten Situation oder der gesellschaftlichen Machtstrukturen generell.

In diesem Artikel möchte ich mich mit der Notwendigkeit einer Strategie befassen vor allem im Rahmen der Macht gegen bestimmte gesellschaftliche Kräfte und der Macht zur Erreichung unserer Ziele.

Zuerst möchte ich noch einmal kurz zusammenfassen, was wir bisher in PN zum Thema Gewaltfreiheit und soziales Empowerment erörtert haben. Gewaltfreies soziales Empowerment zielt nicht darauf ab Macht über jemanden (Herrschaft) zu erreichen, sondern unsere Macht im Leben und Macht im Tun zu fördern. Hierdurch soll ein Prozess in Gang gesetzt werden, oder besser, ein praktischer Ansatz geboten werden, um gesellschaftliche Macht von der Basis neu zu strukturieren. Dies vollzieht sich auf drei Ebenen: Macht im Innern (persönliche Macht, die jeder von uns spürt wenn man sich zentriert fühlt, Macht im Miteinander (Macht, die entsteht, wenn wir uns mit anderen zusammentun und zusammenarbeiten) und Macht in Beziehung zu anderen (die Macht zur Erreichung unserer Ziele, zur Verteidigung unserer Werte, im Kampf gegen die Kräfte von Tod und Zerstörung). Diese dritte Ebene ist generell die, der wir in unseren Ausführungen am wenigsten Beachtung schenken.

Macht für andere

Eine Bewegung braucht eine bestimmte Beurteilung dessen, was innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens erreichbar ist. Dies kann intuitiv geschehen oder ganz analytisch, muß aber auf jeden Fall klar vermittelt werden und natürlich immer wieder neu bewertet werden. Manchmal gibt es überraschende Erfolge für eine Bewegung, wodurch dann die ursprünglich gesteckten Ziele noch übertroffen werden. Das jüngste Beispiel hierfür in Europa ist vielleicht die Ausweitung der Kampagne gegen genmanipulierte Nahrungsmittel. Vor allem bei direkten Aktionen kommt es oft zu einer Verschmelzung von symbolischer Macht und dem eigentlichen Ziel der Aktion. Ein gutes Beispiel hierfür ist das, was wir sonst immer "Befreiung von Lebensräumen" (liberating space) genannt haben (jetzt würde man dies wohl eher als "Rückforderung von Lebensräumen" ("reclaiming spaces") bezeichnen): Ist der Lebensraum/das Land an sich wichtig oder geht es um die Botschaft (die Machtübernahme), die wir mit dieser Aktion vermitteln wollen? Geht es um das praktische Beispiel oder das Prinzip? Dies ist auch in den Bereichen "Umweltverteidigung" und "direkte Entwaffnung?" der Fall. In den großen anti-technokratischen Aufständen um 1968 war der Slogan "Seid realistisch, fordert das Unmögliche" die Parole gegen den Managerialismus der Zeit. Während ich hier sitze und schreibe wird mir ganz war ums Herz wenn ich dem gelassenen Ton des BBC-Berichts über "anti-kapitalistische" Demonstrationen in Washington DC lausche. Eine Parole stellt jedoch keine Strategie für den Wandel dar. Die Demonstrationen in Seattle und Washington waren ermutigende Mobilisierungen, die die Kraft einer gemeinsamen Meinung innerhalb der Gesellschaft gezeigt haben. Wer wird diese Kraft nun nutzen? Wer wird nun konkrete Kanäle anbieten, um die nun mobilisierte Energie auch freizusetzen? Auf lokaler Ebene gibt es sicherlich Solidaritätsprojekte und "Fair Trade"-Läden die ihren Teil der Arbeit leisten, aber darüber hinaus? Gibt es außer einigen Interessensgruppen mit klaren Reformzielen noch etwas anderes? (Ich stelle diese Frage, ich weiß es nicht.) Je wichtiger die Ergebnisse, desto weniger visionär scheinen die Forderungen zu sein. Es geht jedoch darum, die Vision nicht aus den Augen zu verlieren und dabei in kleinen Schritten vorzugehen, in Form von verschiedenen Aktivitäten die unsere Fähigkeiten fördern, unsere Macht im Innern und unsere Macht im Miteinander. Wir müssen aber auch unseren Stärken entsprechende, praktische und erreichbare Ziele setzen, die letztlich die Schritte zur Umsetzung der Vision darstellen: "Das Unmögliche dauert etwas länger."

Um immer wieder neu bestimmen zu können, was möglich ist, bedarf es einer Strategie, in der jede Phase die Basis für eine Ausweitung bietet.

Macht gegen andere

Es ist jedoch nicht damit getan, die Stärke einer Bewegung auszubauen. Auch die Stärken und Schwächen der Machtstrukturen, gegen die wir angehen wollen, müssen analysiert werden, um Möglichkeiten der Einflußnahme und Schwachstellen der jeweiligen Problematik auszumachen. Bei einem gewaltfreien Ansatz versucht man generell den Gegner in die Konfliktlösung einzubeziehen und dessen berechtigte Bedenken anzuerkennen. Trotzdem müssen ureigene Interessen in einem Konflikt zur Sprache kommen und in gewissem Maße verteidigt werden. Empowerment für gesellschaftliche Konflikte beinhaltet also auch die Vorbereitung auf eine Art Wettstreit, für den wir taktisch festlegen müssen, worauf wir unsere Energie konzentrieren wollen. Wir müssen uns außerdem der ganzen Palette verfügbarer Methoden bewußt sein und der Unterstützung, die in verschiedenen Bereichen mobilisiert werden kann. Leider neigen viele Bewegungen dazu, sich zu wiederholen, sie behalten die altbekannten Methoden bei und greifen somit immer auf die gleiche Anhängerschaft zurück, satt unterschiedliche Methoden auszuprobieren.

Ist es möglich unsere Einheit zu maximieren und gleichzeitig Uneinigkeit bei unseren Gegnern zu stiften? Beim Verbraucherboykott gegen Nestlé Babymilch war dies möglich. Nestlé war nicht der einzige Hersteller, der den Müttern in der dritten Welt weismachen wollte, dass Milchpulver besser sei als Muttermilch. Hätte man sie alle angegriffen, so hätten sie sicher eine gemeinsame Front gebildet und zweifellos Berichte bezahlt, die belegten, dass natürlich Milchpulver besser ist.

Da nun aber nur das größte Unternehmen attackiert wurde, begannen die anderen ihr Vorgehen zu ändern, um zu zeigen dass sie besser sind als Nestlé. Letztendlich wählte dann auch Nestlé einen neuen Ansatz.

Gibt es Schwachpunkte, an denen man den Gegner mit kleineren Maßnahmen behindern oder einschränken kann? Peace Brigade International stellte fest, dass manchmal die Präsenz einiger weniger internationaler Freiwilliger Diktatoren oder Todesschwadronen schon davon abhielt Menschenrechtsaktivisten zu bedrohen. Sie fanden jedoch auch heraus, dass dies nicht immer zutrifft, sondern dass die internationale Präsenz manchmal auch ungewollte Aufmerksamkeit erregte und eine gegenteilige Wirkung hervorrief. (Vgl. den hervorragenden Bericht "Unarmed Bodyguards" von Liam Mahoney und Enrique Eguren, Kumarian Press, 1997.)

Viele Bewegungen konzentrieren sich auf symbolische Kampfschauplätze, vor allem eben auf die Orte, an denen eine Regierung oder ein Unternehmen etwas plant (Straßenbau, militärische Einrichtungen, etc.). Auf dieser symbolischen Ebene sollten wir uns fragen ob es nicht vielleicht andere Mobilisierungssymbole gibt, die basisnäher sind und daher einfach mehr Menschen erreichen und ansprechen?

Mehr als ein Wettstreit

Außerdem gibt es Aktionen, bei denen die Machthaber einfach nicht gewinnen können. Werden diese Aktionen unterbunden, reagieren die Menschen mit Sympathie. Können diese durchgeführt werden, gewinnt die Bewegung an Boden. Vor welche Dilemmas können wir unsere Gegner stellen?

Gibt es etwas, was wir erreichen wollen, das unsere Gegner uns einfach gewähren würden? Gibt es etwas, was wir unseren Gegnern anbieten können, das es ihnen erleichtern würde Zugeständnisse zu machen? Das Angebot einiger der ersten Hausbesetzer in London, Häuser, die sie vor dem Abriß bewahrt hatten zu verwalten war damals umstritten (vor fast 30 Jahren). Dies bot aber eine Lösungsmöglichkeit, bei der beide Seiten, die örtlichen Verwaltungen und die Hausbesetzer, als Gewinner hervorgingen.

Der führende Gelehrte gewaltfreier Aktionen Gene Sharp hat vier Mechanismen vorgeschlagen mit denen gewaltfreie Bewegungen Machtstrukturen verändern können: Durch das Erreichen eines Umdenkens, d.h. die Forderungen der Bewegung werden akzeptiert, durch Erzwingen, d.h. ein Einlenken wird erwirkt, durch Anpassung, d.h. ein Teil der Forderungen der Bewegung wird erfüllt oder durch Auflösung der Machtstrukturen. Die meisten von uns haben wahrscheinlich Erfahrung mit der "Anpassung" und dem daraus resultierenden Problem, zu versuchen doch noch das zu erreichen was wir die ganze Zeit schon wollten. Viele von uns haben vielleicht auch erfolgreich eine Machtstruktur zum Umdenken bewegt oder Veränderungen erzwungen und mußten sich dann mit dem Gegenschlag derer auseinandersetzen, die nicht zum Umdenken bewegt werden konnten und sich bei der Lösungsfindung übergangen fühlten. Manchmal hatten aber auch Gruppen, deren Regimes sich aufgelöst hatten, allen Grund zur Sorge darüber, wie das entstandene Vakuum nun gefüllt würde.

Hieraus wird deutlich, dass gewaltfreier Kampf mehr als ein Wettstreit ist, dass Macht gegen andere nur ein Teil der dritten Ebene, der Macht in Beziehung zu anderen ist.

Die Arbeit jeder gewaltfreien Bewegung an einer bestimmten Problematik basiert auf einer tiefergehenden Agenda, die darauf abzielt, eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Menschen die Macht haben, ihr eigenes Leben zu gestalten und den Sinn für soziales Miteinander zu fördern. Somit ist gewaltfreies soziales Empowerment nicht einfach ein praktischer Prozess, sonder auch ein Ziel: Der Ersatz weit entfernter, undurchdringlicher Hierarchien durch menschliche und transparente Strukturen.

Howard Clark ist der Autor des in Kürze erscheinenden Buches "Civil Resistance in Kosovo" (Pluto Press). Er lebt in Spanien.
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