Interview mit Wilson Bin Nurtiyas

Wilson bin Nurtiyas ist Mitglied des Legislationsausschußes der Peoples's Democratic Party (PRD) Indonesiens und koordiniert die Organisation "Indonesische Solidarität mit dem Kampf der Maubere" (Ost Timoresen). Im September 1996 wurde er nach einer Demonstration in Jakarta verhaftet. Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, aber wurde im Juli dieses Jahres unter einer Teilamnestie für politische Gefangene freigelassen.

PN: Sie haben sich geweigert, das Gefängnis zu verlassen. Warum?

Wilson: Ja, denn ich habe verlangt, daß alle, nicht nur einige der politischen Gefangenen freigelassen werden. In Indonesien gibt es zum Beispiel momentan mehr als zweihundert politische Gefangene. Deshalb habe ich drei Tage lang meine Zelle abgeschlossen, bis die Wächter des Cipinang Gefängnisses mich eines frühen Morgens gezwungen haben aufzuschließen. Das Militär, das mich ins Gefängnis gesteckt hat, mußte mich zwingen, herauszukommen. Aber sie kannten die politischen Umstände.

PN: Bevor Sie im Gefängnis waren haben Sie an zahlreichen Demonstrationen teilgenommen. Ihnen muß bewußt gewesen sein, daß das Risiko besteht, verhaftet zu werden.

Wilson: Ja, wie kennen die Risiken. In der Verfassung der PRD haben wir das Risiko einer Verhaftung mit eingeschlossen, auch das Risiko, vom Militär getötet zu werden. Das waren nur einige der Voraussetzungen, um Mitglied der PRD zu werden.

PN: Hatten Sie jeden Tag Angst?

Wilson: Ich glaube, wir müssen uns einer dialektischen Wirklichkeit bedienen: wenn das Militär das Volk unterdrückt, muß man anti- militaristisch werden. Wenn sie einen ständig verhaften und unterdrücken, verliert man die Angst - weil sie dir all deine Furcht genommen haben. Natürlich haben wir manchmal Angst. Aber wir können die Situation mit Ost Timor vergleichen - sie wurden dort so lange unterdrückt, daß sie ihre Angst verloren haben.

Im Cipinang Gefängnis konnten wir immer noch mit unseren Kameraden und Freunden draußen kommunizieren, und wir konnten die politischen Nachrichten verfolgen - durch Besucher und Zeitungen.

PN: Haben Sie Xanana Gusmão getroffen (den Ost-timoresischen Widerstandsführer, der immer noch im Gefängnis sitzt)?

Wilson: Ja, wir haben uns gut kennengelernt. Wir haben beide den Fußballwettbewerb im Gefängnis organisiert! Deshalb haben wir uns oft getroffen - jeden Nachmittag auf dem Fußballfeld. Wir haben unter den politischen Gefangenen ein „politisches" Fußballteam organisiert. Jede Woche haben wir gegen das „Strafgefangenen-Team" gespielt, und wir haben immer verloren - weil wir während des Fußballspiels Politik diskutierten, und nicht, wie man Tore schießt. Das Wichtige war nicht das Spiel, sondern die Kommunikation.

PN: Was war Ihre tägliche Routine?

Wilson: In Cipinang organisieren die politischen Gefangenen viele Aktivitäten. Wir organisierten das Gefängnis, nicht die Gefängnisverwaltung. Zum Beispiel Sport: Fußball organisierten Xanana Gusmao und ich, Badminton die kommunistische Partei, Basketball ich, ein Reparaturladen und eine kleine Farm mit Enten, Hühnern und Fisch die Kommunisten.

Dann, ab sieben Uhr, wenn die Zellen aufgeschlossen wurden bis sechs Uhr, wenn sie zugeschlossen wurden, haben wir Aktivitäten organisiert. Es gab zwei Kategorien von Gefangenen - Strafgefangene und politisch Inhaftierte. Die Politischen waren zu viert in einer Zelle. Vom Abend bis zum Morgen waren wir nur in unserer Zelle. Jede Nacht führten wir Diskussionen, übersetzten und schrieben politische Artikel.

PN: Wurden die Strafgefangenen politisiert?

Wilson: Ich kann Ihnen garantieren, daß - falls es in Cipinang eine Wahl gäbe - die PRD Nummer Eins wäre. Wir haben viel organisiert. Wir haben auch eine kleine Bücherei in unserer Zelle eingerichtet. Als ich freigelassen wurde, haben 1500 Strafgefangene unsere Bücher ausgeliehen.

PN: Haben sie sie zurückgebracht?

Wilson: Manchmal, wenn es ein Bild einer Frau in einem Magazin gab, haben sie es ausgeschnitten.

PN: Wie oft hatten Sie Besuch?

Wilson: Zweimal die Woche - Mittwochs und Sonntags.

PN: War Ihnen die Gefängnisverwaltung wohlgesinnt?

Wilson: Ich kann Ihnen etwas sagen: dreißig Minuten nachdem Suharto zurückgetreten war, kam der Gefängnisdirektor zu uns, zu allen politisch Inhaftierten und sagte: "Herzlichen Glückwunsch, Suharto ist zurückgetreten. Wir haben auch eine Party mit dem Direktor organisiert. Das bedeutet, daß die Gefängnisverwaltung in Cipinang uns auch unterstützt.

PN: Haben Sie im Gefängnis viel internationale Unterstützung erhalten?

Wilson: Es gab eine Menge Aufmerksamkeit. Viele Postkarten, Presseartikel, Petitionen. Aber es gab das Problem, daß die Mitglieder der kommunistischen Partei, die schon seit über dreißig Jahren im Gefängnis sitzen, nur wenig Aufmerksamkeit erhielten und es gab davon auch zuwenig für die Islamischen Rebellen, von denen manche lebenslang verurteilt sind. Ich finde, Sympathie für politische Gefangene sollte die Kommunisten und die Islamischen politischen Gefangenen mit einschließen.

PN: Wie haben Sie es geschafft, im Gefängnis durchzuhalten?

Wilson: Weil Leute Widerstand leisten. Weil es viel politische Opposition gibt. Das gibt uns im Gefängnis Optimismus. Wir glaubten, daß es nur eine Sache der Zeit wäre.

PN: Was haben Sie gemacht, seitdem Sie freigelassen wurden?

Wilson: Ich versuche, die PRD zu organisieren. Vor zwei Monaten wurde die PRD wieder zugelassen, jetzt müssen wir Taktiken einer illegalen Partei in die einer legalen Partei umändern. Wir organisieren unsere Massenmobilisierung bei Studenten, Arbeitern, Gefängnissen und den ärmeren Schichten in der Stadt neu. Es ist jetzt leichter für uns, Propaganda zu machen, Flugschriften zu verteilen und Aktionen offen zu organisieren. Aber die PRD hat keine Illusionen. Falls das Militär in der Zukunft reaktionär wird, haben wir besondere Reaktionsmechanismen.

PN: Welche Hoffnungen haben Sie für einschneidende Änderungen in Indonesien?

Wilson: Natürlich gibt es mehr Offenheit, aber wir müssen verstehen, daß die alte Struktur des Suharto Regimes immer noch Macht besitzt. Das Wichtigste ist das Militär. Warum? Weil das Militär immer noch unter Suhartos Kontrolle ist. Als Suharto im Mai zurückgetreten ist, sagte Wiranto der Kommandant der Streitkräfte: „Das Militär wird Suharto und seine Familie beschützen." Jetzt ist die gemeinsame Basis der radikalen Bewegungen - hauptsächlich Liberale, Studenten und PRD - die Frage wie man eine Koalition gegen das Militär bilden kann. Wenn man Menschenrechtsverletzungen unterbinden will, müssen wir Schritt für Schritt die Macht des Militärs einschränken.

PN: Was sind in Indonesien die Gedanken und Gefühle in Bezug auf Ost Timor?

Wilson: Jetzt gibt es mehr Pressefreiheit in Indonesien. Jede Woche gibt es ein Interview mit Xanana. In der Vergangenheit war das nicht vorstellbar. Jetzt ist er einer der populärsten Personen in den Zeitungen. Jetzt können mehr normale Leute das Problem in Ost Timor verstehen. Letzten Monat nahm ich in Ost Timor an einer öffentlichen Veranstaltung teil. Es hatten sich dort mehr als zweitausend Studenten und Jugendliche versammelt, die alle offen von Selbstbestimmung und Freiheit für Ost Timor sprachen und nicht mehr nur von einem Referendum. De facto haben sie schon gezeigt, daß sie frei sind, aber in Wirklichkeit ist das Militär noch da. Momentan organisiert sich in Ost Timor eine politische Massenbewegung. Eine Woche vor meiner Ankunft gab eine große Aktion mit zehntausend Menschen - so etwas gab in der Vergangenheit nicht. Meiner Meinung nach wäre der Schlüsselpunkt, die politischen Massenbewegungen in Ost Timor zu verstärken.

PN: Freuen Sie sich darauf, mit Xanana in einem freien Ost Timor Fußball zu spielen?

Wilson: Wissen Sie, ich fragte Xanana: „Würden Sie, falls Sie Präsident werden sollten, in einem Palast in Dili wohnen?" Und er sagte, „Nein, ich will im Gefängnis bleiben." „Warum?" „Weil ich jeden Nachmittag Fußball spielen kann. Wenn ich im Palast wohne werde ich nicht Fußball spielen können, sondern eine Menge Besprechungen haben."

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