Prozeß gegen Osman Murat Ülke

Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke wurde nach seiner Freilassung aus dem Militärgefängnis zur Militäreinheit gebracht (Tony Smythe, WRI, London;Holger Jänicke und Jan Brauns, DFG-VK, Dortmund) Ankara, 19. November 1996.

Der türkische Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke (26 Jahre) wurde heute durch das Militärgericht des Generalstabes in Ankara, Türkei, aus dem Militärgefängnis entlassen. Unmittelbar nach seiner Freilassung wurde er zu seiner Militäreinheit in Bilecik, in der Region Bursa, Türkei, gebracht.

Die Bewegung der türkischen KriegsgegnerInnen befürchtet nun -- wie auch die internationale Delegation, die den Prozeß beobachtete -- daß Osman als Person, die das Militär kritisiert, in den Händen des Militärs nicht sicher ist. Die Bewegung plant neue Aktivitäten, um Osman zu unterstützen. Seine AnwältInnen und die Delegation überlegen nach Bilecik zu fahren, um dem Kommandeur der Einheit zu zeigen , daß es ein andauerndes Interesse am Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke auf nationaler und internationaler Ebene gibt.

Wenn Osman Murat Ülke weiter den Militärdienst in der Einheit verweigert -- und daran besteht kein Zweifel -- kann er im Falle ausdauernden Widerstands entsprechend dem türkischen Militärstrafgestz zu einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden. Möglicherweise kann er auch mehrere Male bestraft werden.

Der heutige Prozeß war der erste in der Türkei, der die Kriegsdienstverweigerung behandelte. Osman Murat Ülke erhielt seine Einberufungspapiere am 31. August des letzten Jahres. Er kam der Einberufung nicht nach. Am 1. September erklärte er seine Kriegsdienstverweigerung und verbrannte seinen Wehrpaß. Er erklärte: "Ich bin kein Soldat und werde keiner werden. Falls ich in die Kaserne gebracht werde, werde ich bis zum Ende Widerstand leisten und mich auf keine Art und Weise zum Soldat machen lassen." Er erklärte der Armee, daß er kein Fahnenflüchtiger sei und sich auch nicht verstecken würde. Die Armee könnte ihn an jedem beliebigen Tag im Büro des Savas Karsitlari Dernegi antreffen, dem Verein der KriegsgegnerInnen Izmir.

Der heutige Prozeß fand wegen seiner Wehrpaßverbrennung statt, da er damit "das Volk vom Militär distanziert" habe (Artikel 155 des Tükischen Strafgesetzes). 15 AnwältInnen waren zur Verteidigung von Osman anwesend. Der Militärstaatsanwalt war ebenfalls nicht allein, ihm standen 6 weitere zur Seite. Als Osman -- bewacht von 4 Soldaten, die offen ihre Waffen trugen -- in den Raum kaum, standen 35 BesucherInnen, einschließlich der drei internationalen Beobachter der War Resisters' International auf, um Osman Ehre zu erweisen und Solidarität auszudrücken.

Während der Verhandlung waren Presse und TV-Teams, einschließlich der deutschen ARD, anwesend. Das zeigt, daß die Frage der Kriegsdienstverweigerung in der Türkei auf der öffentlichen Tagesordnung steht, als Teil der Bewegung für Menschenrechte und Meinungsfreiheit.

Der Prozeß begann mit dem Versuch des vorsitzenden Militärrichters, die Zahl der AnwältInnen zu reduzieren. Schließlich akzeptierte er alle. Dann machten die AnwältInnen einige Anträge zum Verfahren: Einer der drei Richter war zum Richteramt nicht befähigt, sondern lediglich Offizier (die anderen Richter waren sowohl befähigte Richter als auch Offiziere der türkischen Armee); Die Verhandlung solle in der Stadt stattfinden, in der das "Vergehen" begangen wurde; Osman ist kein Soldat, sondern eine Zivilperson, so daß er vor einem Zivilgericht angeklagt werden m[dotlessi]ßte. Die Richter akzeptierten keinen der Anträge.

Dies zeigte der internationalen Delegation einige der Probleme, die durch das Vorhandensein sowohl einer zivilen wie auch einer militärischen Gerichtsbarkeit in der Türkei existieren.Heute sah es so aus, als würde das Militär selbst über die Zuständigkeit der Gerichte entscheiden. Bezüglich der Menschenrechte ist zu sagen, daß es mehr als zweifelhaft ist, ob ein unabhängiges Verfahren garantiert w erden kann.

Dann gab es eine Anhörung von Osman über seine Erklärung und was er getan hatte. Wiederum erklärte er seine Kriegsdienstverweigerung. Die Militärrichter argumentierten, daß es ein solches Recht in der Türkei nicht gäbe. Osman erwiderte: "Das mag ein Problem des türkischen Staates und des Militärgerichtes sein, es ist aber nicht mein Problem."

Nach der Anhörung von Osman brachten die AnwältInnen einige internationale Deklarationen ein, die die Kriegsdienstverweigerung stützen, wie z.B. die Europäische Konvention für Menschenrechte.

Diese erste Sitzung des Prozesses endete ohne ein Urteil. Er wurde vertagt, 'um den AnwältInnen mehr Zeit zu geben' Wir denken aber, daß vor allem die Militärrichter Zeit brauchen, um Gegenargumente zu finden. Osman Murat Ülke ist zwar aus dem Militärgefängnis entlassen worden, er wurde aber im Anschluß zu seiner Einheit gebracht.

Der Verein der KriegsgegnerInnen Izmir wurde am 7. November geschlossen. Als Grund wurde die Verteilung einer Informationsschrift zum Artikel 155 angegeben. Der Text erschien übrigens auch in einer türkischen Zeitschrift. Die Adresse des Vereins ist daher ungültig. Die Faxnummer (+90 232 323 08 89) kann jedoch weiter benutzt werden.

Protestbriefe und -faxe können gerichtet
werden an:
9. Jandarma Alay Komutanli
BILECIK, Bursa
TÜRKEI
Tel.: 0090-228-212 11 17
Fax: 0090-228-212 24 18
Das Fax wurde zeitweise abgestellt, ist aber grundsätzlich in Betrieb.

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