Die Spannung zwischen Militarisierung der Grenzen am Meer und Menschenrechten der Migranten auf dem Meer

Daniel R. Mekonnen1

 

 

1. Einleitung

Die Europäische Union (EU) hat an ihrer Südspitze entlang der Küste des Mittelmeers eine der gefährlichsten Grenzen. Während der letzten Jahre wurde diese Grenze zum Meer, besonders die italienische Halbinsel, durch immer wieder vorgekommene tragische Bootsunfälle zu einem Massengrab für Migranten. Diese Bootsunfälle ereigneten sich oft so nahe an den Küstenstädten, dass von diesen rechtzeitiges Eingreifen zur Rettung möglich gewesen wäre. Dieses Thema hat bei einigen europäischen Institutionen große Verlegenheit hervorgebracht, da dies teilweise wegen dem Mangel an einer effektiven Interventionsstrategie vonseiten der EU geschah. Dies weist darauf hin, dass rechtliche Sicherheit und die Vorkehrungen zum Schutz der Menschenrechte in starkem Kontrast zu der militarisierten Sicherheit an den Grenzen stehen.

Ein weiterer peinlicher Aspekt dieser Krise ist die Tatsache, dass dies das Ergebnis eines engstirnigen politischen Interesses ist, das der Sicherung der Grenzen am Meer auf Kosten der „Menschenrechte der Migranten auf dem Meer“ Vorrang gibt.1 Nehmen wir die letzten Katastrophen im Mittelmeer, die hässliche Flecken in den Annalen der neueren europäischen Geschichte hinterlassen, liefert dieser kurze Beitrag Argumente für ein robustes Schließen der Lücke, die entlang der europäischen Meeresgrenzen zwischen Menschenrechtsschutz und militarisierter „Sicherheit“ besteht.

2. Abscheuliche Tragödien außergewöhnlichen Ausmaßes

Zugegeben, die Einzelheiten der zahlreichen Meeresunfälle der letzten Jahre auf dem Mittelmeer sind zu viele, als dass man sie in einem kurzen Beitrag aufführen könnte. Ich wähle hier sehr vorsichtig die beiden bedeutendsten Beispiele aus; hauptsächlich aufgrund der darüber erfolgten weltweiten Medienberichterstattung und des dadurch entfachten Aufschreis. Ich denke, dass durch die Diskussion über zwei der repräsentativsten Fälle eine Art Gerechtigkeit erzeugt werden kann, indem wir den Ruf nach Verantwortlichkeit hinsichtlich all dieser von der Welt in den letzten Jahren erlebten Ungerechtigkeiten verbreiten.

Die beiden Beispiele sind: das “left-to-die-boat” (LTDB) vom März 2011 und die Lampedusatragödie vom Oktober 2013. Diese sind die deutlichsten Beispiele, die die vorhandene Lücke zwischen dem Schutz der Menschenrechte der Migranten auf dem Meer auf europäischem Niveau demonstrieren.

Der LTDB-Unfall beinhaltet die Gefahr, der sich um die siebenundzwanzig Migranten ausgesetzt sahen, die in der Nacht vom 27. März 2011 in einem überfüllten Boot von Tripolis starteten. Die Migranten saßen für ca. zwei Wochen auf dem Meer fest, schwer getroffen von Hunger und Durst. Die Reise endete mit dem tragischen Tod aller Passagiere bis auf 9. Die meisten der dreiundsechzig Menschen starben während dieser Zeit, weil es keine rechtzeitigen Rettungsmaßnahmen gab. Als das Boot schließlich in Ziltan (südöstlich von Tripolis) landete, durch die Wellen dorthin getrieben, lebten nur noch elf Migranten. Zwei davon starben kurz darauf. Es ist traurig, dass dieser tragische „Unfall“ zu einer Zeit geschah, als schwere Militärpräsenz im Mittelmeer vorhanden war im Rahmen der NATO-Militäroperationen gegen das Regime des damaligen libyschen Diktators, Muammar Gaddafi.2

Das zweite Beispiel ist die Lampedusa-Tragödie, die sich am 3. Oktober 2013 ereignete, als ein überfülltes Boot mit Migranten an der Küste von Lampedusa kenterte, weniger als eine Viertelmeile vor der Insel; das berichteten zumindest die Medien. Die Tatsache, dass der Unfall so nahe an der italienischen Küste passierte, wurde von vielen als Ergebnis eines jämmerlichen Versagens der italienischen Autoritäten interpretiert und vom Rest Europas stillschweigend geduldet.

3. Die Notwendigkeit eines stabilen Instruments internationaler Zuständigkeit

Die beiden oben beschriebenen Tragödien haben erhöhte internationale Aufmerksamkeit erlangt und somit das kolossale Versagen seitens einiger der EU-Mitgliedsstaaten und der NATO aufgedeckt. Besonders im Falle des LTBD bleiben wichtige Zuständigkeits-Fragen unbeantwortet, da der Unfall geschehen konnte, obwohl das Migrantenboot tatsächlich von einem Militär-Hubschrauber und verschiedenen in diesem Meeresbereich fahrenden Schiffen (zivile und militärische) schon ganz früh gesehen wurde. Das Militärflugzeug und die Militärschiffe gehörten vorgeblich zu der NATO und einigen anderen europäischen Staaten. Tatsächlich wurde ein von dem Migrantenboot ausgesandter Hilferuf vom Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom erhalten und an verschiedene Schiffe in dem Gebiet weitergeleitet, auch an das mit den NATO-Hauptquartieren verbündete Kommando in Neapel. Es wurde nichts unternommen, um die Leben dieser Menschen zu retten.3

Obgleich es einen ziemlich adäquaten internationalen Gesetzesrahmen gibt, der die Menschenrechte der Migranten auf dem Meer schützt, konnten das kolossale Versagen in den zwei genannten Fällen stattfinden, durch anscheinend institutionelle Lücken, die das vorhandene internationale Gesetzesrahmenwerk zu Leben hätten bringen sollen. Dieser Gesetzesrahmen basiert auf den entsprechenden Bestimmungen der internationalen Seeabkommen und dem allgemein bekannten umfangreichen internationalen Menschenrechtsgesetz. Die vorhandene institutionelle Lücke fordert eine robuste Aktion mit dem Ziel, das ziemlich adäquate internationale Gesetzesrahmenwerk zu verstärken, mit Blick auf einen effektiven Schutz der Menschenrechte für die Migranten auf dem Meer. Gesetzliche Verantwortlichkeit und Zuständigkeit für unrechtmäßige durch mächtige internationale Organisationen oder Instanzen, wie die NATO, getätigte Aktionen liegen am Herzen solcher Aktionen.

Auf EU-Ebene ist es auch dringend notwendig, die vorhandene EU-Grenzverstärkungspolitik neu zu bewerten, mit Blick auf einen erweiterten Ansatzes, der nicht nur die Meeressicherheits- (Militarisierung)-Bedenken Europas sondern auch die Menschenrechte der Migranten auf dem Meer in Betracht zieht. Ohne die ganze Last bei den Küstenstaaten zu belassen, die unverhältnismäßig von dem immer weiter wachsenden Zustrom der „Boots“-Migranten betroffen sind, muss die EU – als regionale Macht – eine Lösung hervorbringen, die dieses Problem in einem ganzheitlichen Ansatz angeht. Ohne einige der positiven laufenden Überlegungen auf EU-Ebene zu unterminieren, ist es wichtig zu betonen, dass strenge Verantwortlichkeitsmaßnahmen eingebracht werden müssen, um die Art kolassalen Versagens, wie in den Fällen des LTDB und der Lampedusa-Tragödie, zu vermeiden. Schließlich ist es nicht die militarisierte Sicherheit der Grenzen, die eine sichere und bessere Welt fördert, sondern eine Einwanderungspolitik, die in der Notwendigkeit ankert, der Sicherheit des Menschen Vorrang zu geben: ganz gleich, ob ein solcher Mensch Migrant ist oder nicht

Übersetzung: Inge Dreger

1Dieser Beitrag ist eine verkürzte Version eines wissenschaftlichen Volltext-Artikels, der für den Workshop über “Justifying the European Border Regime and Holding It To Account: Ideational Versus Material Dimensions?,” eingereicht wurde. European University Viadrina (Frankfurt/Oder), 26.-27. März 2015. Der Originaltitel der Volltextversion war “Balancing the Tension between Security and Human Rights in EU’s Southern Maritime Borders.”

2Siehe: https://www.humanrightsatsea.org/.

3Dieser Bericht basiert größtenteils auf einer Zusammenfassung von Vorkommnissen durch das Forensic Architecture Project, zu finden unter http://www.forensic-architecture.org/case/left-die-boat/.

4 Ibid.

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