Militarismus in Finnland

Kaj Raninen

Auf seine eigene Art ist Finnland ein sehr militarisiertes Land, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag. Militarismus finnischer Prägung heisst nicht, dass das Militär in der Gesell-schaft überall anzutreffen ist, oder dass es notwen-digerweise mehr Einfluss hat als in anderen westlichen Ländern. Es ist mehr eine historisch konstruierte Art des Denkens, derzufolge sich Finnland permanent unter militärischer Bedrohung befindet - selbst wenn niemand die geringste Idee hat wer denn diese Bedrohung darstellen soll, oder sich eine Situation vorstellen kann, in der diese Bedrohung real werden könnte. Doch aufgrund dieser Bedrohung braucht Finnland immer eine Armee, die auf einem ausgiebigem Wehrpflichtsystem beruht.

Der finnische Militarismus ist das historische Erbe von Ereignisses während des Zweiten Weltkrieges. Finnland kämpfte zweimal gegen die Sowjetunion (1939-40 und erneut 1941-44). Auch wenn Finnland in beiden Fällen verlor, und im letzteren Fall faktisch mit Hitlers Deutschland verbündet war, so werden die Kriege doch als "Verteidigungssiege" angesehen, und das Militär als Retter, der das Land vor sowjetischer Besatzung und stalinistischer Tyrannei bewahrte. Historisch könnte das teilweise wahr sein, doch die finnische Beteiligung am zweiten Weltkrieg hätte wahrscheinlich durch eine weisere Aussenpolitik vermieden werden können. Doch bedeutsamer ist dass die Kriege, insbesondere der Winterkrieg (1939-40), während dem Finnland ohne Verbündete gegen die Sowjetunion kämpfte, noch immer die Mentalität der Menschen beeinflussen und politisch benutzt werden. Die verbleibenden Veteranen des Zweiten Weltkrieges, normalerweise repräsentiert durch das Militär oder von rechtslastigen PolitikerInnen, doch manchmal sogar sich selbst repräsentierend, werden als "Vorbild" für junge Leute präsentiert (z.B. wurde in diesem Herbst die jährliche Sammlung von Spenden für die Gesundheitsvorsorge für Veteranen unter dem Slogan durchgeführt "hättest Du den Mut gehabt, das gleiche zu tun?").

In der finnischen Diskussion zu Militärfragen ist es ein übliches Argument rechter PolitikerInnen zu fragen "Was würden die Veteranen dazu sagen?" (natürlich werden sie nicht gefragt was sie wirklich denken, denn das moderne Militär und dessen UnterstützerInnen denken, dass sie die Autorität haben, für sie zu sprechen). Eine der in den 90er Jahren am meisten respektierten öffentlichen Persönlichkeiten in Finnland war einer der letzten überlebenden Offiziere der Kriegsjahre, General Adolf Ehrnrooth, dessen merkwürdigen extremistischen Positionen die finnischen Medien der Dekade schmückten. Als er im Frühjahr 2004 starb, versammelten sich mehr als 20 000 Menschen in den Strassen Helsinkis, um ihren Respekt zum Ausdruck zu bringen. Eine unter jungen Männern weit verbreitete Einstellung ist "ich gehe zum Militär, weil ich es den Veteranen schuldig bin". Es gibt in Finnland keinen Kriegsdienstverweigerer, der nicht wenigstens einmal gefragt wurde "was hättest Du 1939 getan?", oder "was wäre mit uns geschehen, wenn 1939 jeder so gedacht hätte wie Du?".

Die letzten 15 Jahre waren eine gute Zeit für Militarismus in Finnland, insbesondere unter alten Menschen. Während des Kalten Krieges hatte Finnland - obwohl eine parlamentarische Demokratie mit einer staatlich regulierten Marktwirtschaft - eine spezielle politische Beziegung zur Sowjetunion. Während dieser Zeit praktizierten finnische PolitikerInnen eine Art "Selbstzensur", und Kritik an der Sowjetunion oder den negativen Aspekten der Ge-schichte zwischen den beiden Ländern wurden mehr oder weniger vermieden. Das änderte sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und diejenigen, die sich während der Zeit der "Finnlandisier-ung" erniedrigt und eingeschränkt gefühlt hatten sahen die Zeit der Entschädigung gekommen. Das Ergebnis war die Wiedergeburt des finnischen Militarismus; plötzlich war es wieder möglich offen den finnischen Kampf im Zweiten Weltkrieg zu preisen - und dessen Andenken für die eigenen politischen Ziele zu nutzen. Der oben beschriebene "Mythos der Kriegsveteranen" wurde konstruiert, und das Militär begann in der Gesellschaft eine sichtbarere Rolle enzunehmen. Während der 90er Jahre stei-gerte es die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen der Zivilgesellschaft; mit Schulen, Sportvereinen, usw. Derzeit sponsort das Militär sogar eines der grössten finnischen Rockfestivals.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das ausgedehnte Wehrpflichtsystem der Eckpfeiler des finnischen Militarismus (siehe den Artikel auf Seite 1). Nach dem kürzlich veröffentlichtem "Weissbuch Verteidigung 2004" wird die Wehrpflicht in der näheren Zukunft nicht abgeschafft oder reformiert werden. Der Anteil derjenigen, die ihren Militärdienst ableisten, wir etwas abnehmen, doch wird er weiterhin hoch bleiben. Das wird offiziell mit der Tatsache begründet, dass Finnland ein grosses, dünn besiedeltes Land ist, und Wehrpflicht sei notwendig, um "eine ausreichende Reserve für ... Verteidigungspflichten zu garantieren". Das ist natürlich nicht der wirkliche Grund, und niemand kann sich wirklich eine Situation vorstellen, in der Finnland seine Reserve von fast einer halben Million Soldaten brauchen würde. Doch nach dem Weissbuch "schafft das eine Basis für den starken Willen der BürgerInnen, ihr Land zu verteidigen, und eine Verpflichtung zu nationaler Verteidigung" (siehe rechte Spalte auf Seite 3).

KDVer in den (Un)Tiefen des finnischen Militarismus

Die Einstellung der finnischen Behörden zur Kriegsdienstverweigerung war immer mehr von "Bestrafung" und "Marginalisierung" geprägt als von "Integration". Das wesentliche Ziel dieser Politik war - und ist - die Zahl der Kriegsdienstverweigerer auf einem niedrigen Niveau zu halten und zu vermeiden, dass dies eine Gefahr für das Wehrpflichtsystem darstellt. Das ist der Hauptgrund, warum es in Finnland immer sehr schwie-rig war, die Gesetzgebung zur Kriegsdienstverweigerung zu verbessern.

Die derzeitige Diskussion zur finnischen KDV-Gesetzgebung, die sich im wesentlichen auf die Länge des Ersatzdienstes konzentriert, begann 1998, als die Dauer des Militärdienstes reduziert wurde. Gleichzeitig bereitete das finnische Kabinett einen Regierungsgesetzentwurf vor, demzufolge die Ersatzdienstzeit auf 12 Monate reduziert werden sollte. Doch plötzlich änderte die Regierung ihre Meinung - wahrscheinlich weil die Generäle nur wenige Monate vorher eine Niederlage einstecken mussten, wenn das Parlament die Lieferung neuer Militärhubschrauber verweigerte - und die Regier-ung empfand es als unangebracht die empfindli-chen Gemüter der Militärs erneut zu belasten. Im Herbst 1998 lehnte das Parlament einen Gesetzentwurf von Abgeordneten, den Ersatzdienst auf 12 Monate zu reduzieren, trotz des starken Protestes von Kriegsdienstverweigerern ab. 1999 begann das Kabinett erneut, Verbesserungen des Gesetzes vorzubereiten. Letzlich entschied es, eine Verkür-zung des Ersatzdienstes um einen Monat vorzu-schlagen, doch auch das wurde vom Parlament im Herbst 2000 abgelehnt.

In beiden Fällen hat der Ersatzdienst die finnische politische Szene deutlich gespalten: Grüne, Linke, fast alle SozialdemokratInnen, aber nur eine Handvoll liberalerer VertreterInnen der Parteien der Mitte und der Rechten unterstützten die Verkürzung des Ersatzdienstes. Die Mehrheit der Abgeordneten der Mitte und der Rechten gerieten ausser sich. Ein Abgeordneter äu¤erte während der Parlamentsdebatte seine Meinung wie folgt: "Die Unabhängigkeit unseres Landes kann nicht als gegeben angesehen werden. Meiner Meinung nach haben wir eine Ehrenschuld den Männern und Frauen gegenüber, die unser Land im Krieg verteidigt haben, und diese Schuld verlangt von uns, zumindest das Dienstsystem zu erhalten, dass wir derzeit haben. Die Verkür-zung der Zivildienstdauer dienst nicht den Notwendigkeiten des Wehrpflichtsystem. Der Zivildienst ist nur eine Option für diejenigen, deren Überzeugung ihnen die Ableistung des Militärdienstes verbietet. Überzeugungen nur zur Bequemlichkeit oder Faulheit sind kein ausreichender Grund für die Befreiung vom Wehrdienst. Daher sollte der Zivildienst als Alternative nicht noch attraktiver ge-macht werden. In einem solchen Fall könnten wir bald zu viele junge Männer mit einer 'Überzeugung' haben". Und ein anderer Abgeordneter sagte: "Am Wochende sagte ein Veteran, als er hörte, dass wir diese Frage diskutieren werden, dass wir im Parlament nicht vergessen sollten, dass wenn es einen Angreifer gibt, oder jemanden, der über einen An-griff nachdenkt, die würden mit Sicherheit nicht zählen wie viele Männer mit Besen wir an unserer Grenze haben, doch sie müssten kalkulieren, wie viele ausgebildete Männer mit Gewehren wir an unserer Grenze stationieren können".

Auch wenn Kriegsdienstverweigerung in Finnland immer eine sehr kontroverse Frage war, so hat doch das gesamte finnische Parlament in der Vergangenheit Verbesserungen der KDV-Gesetzgebung akzeptiert, zuletzt 1992, als das derzeitige Zivildienstgesetz verabschiedet wurde. Heute scheint die Situation jedoch noch schwieriger als früher zu sein, und dafür gibt es viele Gründe. Erstens ist aufgrund des finnischen "Neo-Militarismus" die Einstellung der Menschen zu Kriegsdienst-verweigerern noch härter als früher - zumindest denken einige PolitikerInnen so und handeln ent-sprechend. Zweitens stieg die Zahl der KDV-Anträ-ge nach der Kürzung des Ersatzdienstes von 16 auf 13 Monate 1992 dramatisch an (von 600-900 Anträgen in den 80er Jahren auf ca. 2500 jährlich Mitte der 90er). Und das Militär ist sich sicher, dass dies an der reduzierten Dienstzeit liegt, und daran, das insgesamt der Ersatzdienst "wesentlich weniger anstrengend" geworden ist als der Militärdienst. Die reduzierte Dienstzeit war wahrscheinlich nicht der Hauptgrund für den Anstieg. Zur gleichen Zeit stieg die Zahl der Antragsteller auch in anderen westeuropäischen Ländern dramatisch an. Doch das Militär will nicht, dass das erneut passiert.

Die Position Finnlands in der internationalen Politik hat sich in den letzten 15 Jahren dramatisch verändert, und auch das scheint sich zu unserem Nach-teil auszuwirken. In den 80er Jahren waren finnischer PolitikerInnen sehr sensibel für das Image Finnlands im Westen, und es war bedenkenswert - selbst für rechte PolitikerInnen - wenn z.B. Amnesty International einen inhaftierten Kriegsdienstverweigerer als Gewissensgefangenen adoptierte, und Finnland in einer Liste mit Ländern, die das Gewissen unterdrückten, wie der DDR, Polen, oder der Sowjetunion, auftauchte. Heute ist Finnland Mitglied der Europäischen Union und unzweifelhaft eines der "westlichen Länder" und niemand scheint sich mehr darum zu kümmern, auch wenn Amnesty International seit 1999 mehr als 49 Kriegsdienstverweigerer als Gewissengefangene adoptiert hat.

Und letztendlich hatten wir auch etwas Pech. Hätte das Kabinett 1998 eine Reduzierung der Dienstzeit vorgeschlagen, hätte das Parlament wahrscheinlich diese unzureichende Verbesserung akzeptiert. Doch wenn das Kabinett dies endlich 2000 ins Parlament brachte, hatte sich die Zusammensetzung zu unseren Ungunsten verändert. Im Jahr 2000 fanden die Diskussionen im Parlament zur gleichen Zeit statt, zu der die Parteien sich im Kommunalwahlkampf befanden. Die konservative Partei, zu dieser Zeit Juniorpartner der SozialdemokratInnen in der Regierung, nutzte die Opposition zum Zivildienstgesetz als ein Mittel, ihr Image aufzupolieren, ohne die Koalition mit dem grö¤eren Koalitionspartner zu gefährden.

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